In der Kirche bleiben oder austreten? – Argumente für den Austritt sind populär, es gibt auch gute Gründe fürs Bleiben
Zunehmende Kirchenaustritte – statistische Angaben (genauer betrachtet)
Wieder einmal häufen sich Artikel in der Presse, die von vermehrten Kirchenaustritten berichten. Schauen wir uns die statistischen Zahlen an, aber etwas differenzierter als sie meist wiedergegeben werden.
Die Zahl der Mitglieder der katholischen und der evangelischen Kirche hat sich von 2019 auf 2020 um zusammen 885.000 Mitglieder verringert. Dies ist ein Mitgliederrückgang von rund 2,4%. (Darin sind aber – wenig beachtet - nicht nur Austritte, sondern auch Todesfälle enthalten, die einen hohen Anteil bilden.) In der evangelischen Kirche (EKD) stieg die Zahl der Kirchenaustritte 2021 im Vergleich zum Pandemiejahr 2020 um 60.000 auf rund 280.000. Damit lag die Austrittsrate bei rund 1,4 Prozent. Die katholische Kirche haben 2021 359.000 Menschen verlassen. Inzwischen ist die Zahl der Kirchenmitglieder unter 50% der Deutschen gesunken. Rund 41% der Bevölkerung (2020) sind „konfessionsfrei“. Man muss dabei zwischen West- und Ostdeutschland differenzieren. Im Westen sind rund 60 % Mitglieder der beiden großen Kirchen, im Osten weniger als 25 %.
Ein wenig relativiert sich die gesunkene Zahl der Kirchenmitglieder, wenn man den zunehmenden Bevölkerungsanteil der andersgläubigen Menschen mit Migrationshintergrund und der Angehörigen nichtchristlicher Religionsgemeinschaften berücksichtigt (8,3%). Gegenrechnen muss man auch die allerdings nicht gewaltige Zahl der Wieder- und Neueintritte (es dürften nach den Angaben der deutschen Bischofskonferenz und der EKD jährlich etwa 50 000 Menschen sein – die vor allem in die evangelischen Kirchen eintreten). Außerdem gehören nicht alle der sich zu den christlichen Konfessionen Zählenden den großen christlichen Kirchen an, sondern sind in weiteren christlichen Denominationen oder Freikirchen (3%) organisiert.
Gründe für den Kirchenaustritt - oft eine "Kosten-Nutzen-Abwägung"
Offensichtlich überlegen sich nicht wenige der verbleibenden Kirchenmitglieder, ob sie nicht ebenfalls ihre bisherige Mitgliedschaft aufgeben sollen. Nach einer neueren Umfrage (2022) „erwägen“ 24% diesen Schritt, 20% bekunden die Absicht, dies zu tun; vor allem unter Katholiken und jüngeren Männern ist die Austrittsbereitschaft hoch. Nach Befragungen spielt die Aussicht, die Kirchensteuer in Zeiten knapper werdender finanzieller Ressourcen einzusparen eine große Rolle (bei Ausgetretenen zu 64 %). Mit anderen Gründen zusammen findet eine „Kosten-Nutzen-Abwägung“ statt. In diese Abwägung fließt ein: Man hat kaum Berührung mit den örtlichen Kirchengemeinden, weiß nur wenig von ihrem Leben und Aktivitäten, besucht keine Gottesdienste, nimmt an sonstige „Amtshandlungen“ nicht teil und steht der christlichen Glaubenswelt fern. Folglich fragt man sich: „Wozu soll ich noch in der Kirche sein?“ Zwar ist der Anteil der Kirchenmitglieder, die sich als „nicht religiös“ bezeichnen – was auch immer das bedeutet - relativ hoch (2012: 40 Prozent der EKD-Evangelischen und 33 Prozent der römischen Katholiken), aber viele sehen ihren Glauben oder Spiritualität nicht an eine Kirchenzugehörigkeit gebunden. 25% der Kirchenmitglieder und 49% der Ausgetretenen stimmen 2021 der Aussage zu: „Ich brauche keine Religionszugehörigkeit, um gläubig zu sein.“ 2022 sind 92% der Austrittsgeneigten der Ansicht „Man kann auch ohne Kirche Christ sein.“
Es sieht also so aus, dass die religiösen Angebote der Kirchen sehr an Anziehungskraft verloren haben, gesamtgesellschaftlich, aber auch unter Kirchenmitgliedern. Das betrifft vor allem die gemeindliche Veranstaltung, die viele in und außerhalb der Kirchen als Kern kirchlichen Handelns und kirchlicher Beteiligung ansehen: den Gottesdienst. Nur etwa 17 Prozent der Kirchenmitglieder besuchen ihn noch regelmäßig, also mindestens einmal im Monat, zwei Drittel zumindest zu besonderen Anlässen im Jahr, 17 Prozent gehen gar nicht zum Gottesdienst.
Es ist allerdings kurzschlüssig aus diesen Zahlen eine generelle Distanz zu kirchlich-religiösen Angeboten zu sehen. Die Nichtteilnahme am kerngemeindlichen Gottesdienst schließt nicht aus, dass Menschen ihren „Gottesdienst“ und ihre Verbundenheit mit der Kirche anderweitig suchen: in der Nutzung von medialen und digitalen Angeboten, im Besuch von kirchenmusikalischen Veranstaltungen, in der Teilnahme an Vorträgen, Kursen und Gesprächen in kirchlichen Akademien, bei spirituellen Angeboten in Tagungsstätten, in der Mitwirkung bei Aktionsgruppen, bei der Teilnahme an Kirchentagen, mit Inanspruchnahme der Telefonseelsorge und anderer sozialer Dienste …
Durch Missbrauchsskandale und ihre zögerliche Aufarbeitung haben die Institutionen beider Großkirchen einen massiven Vertrauensverlust erlitten. Man beklagt eine hierarchische und frauenfeindliche Struktur, Unbeweglichkeit und Verhaftung an überholten Traditionen, eine rückständige Sexualmoral, Verschwendung von kirchlichen Mitteln ... Dies bezieht sich vor allem auf die katholische Kirche, aber die evangelische Kirche, auf die dies marginal zutrifft, wird von vielen in Mithaftung genommen. Ich erlebe es tatsächlich immer wieder, dass mir Leute sagen, sie seien aus der (evangelischen!) Kirche ausgetreten, weil sie mit den geschilderten Praktiken nicht einig seien, auch unter Hinweis auf den letzten und derzeitigen Papst. Bezeichnend für diese mangelnde Differenzierung oder Unkenntnis ist, wenn ich mit meiner Frau in einer Gesellschaft auftauche und gefragt werde, ob ich katholischer oder evangelischer Pfarrer sei.
Vielleicht hat die evangelische Kirche es versäumt – bei allen berechtigten ökumenischen Bemühungen – ihr protestantisches Profil genügend herauszustellen. Es gibt keine zentrale Instanz, die bestimmt was zu glauben sei, die evangelischen Landeskirchen und ihr Zusammenschluss in der EKD werden „synodal“ oder „presbyterial“ geleitet (d.h. von gewählten Vertretern, zum großen Teil direkt gewählt von den Kirchenmitgliedern), Frauen sind gleichberechtigt, ein großer Anteil der Pfarrer*innen und Beschäftigten sind Frauen, Glaubensaussagen und Gestaltungsformen verändern sich, Einstellungen zu Moral, Sexualität und Politik sind weitgespannt.
Fälle sexualisierter Gewalt an Kinder/Jugendlichen gibt es auch in den evangelischen Kirchen (meist in Heimen), wenn auch zahlenmäßig geringer als im katholischen Bereich. Dies ist in den evangelischen Kirchen lange ignoriert worden. Inzwischen wurden wirksame Maßnahmen zur Aufklärung und Prävention eingeleitet.
Durch den Focus auf die Kirchen wird in der Öffentlichkeit wenig beachtet, dass das Problem auch in nichtkirchlichen Institutionen, wie staatlichen Heimen, Vereinen und Schulen besteht (abgesehen von privaten Räumen: Familie, Verwandschaft, Bekanntschaft). Zahlenmäßig sind die Fälle hier sehr viel höher als in den Kirchen - was aber nicht als Entschuldigung für den Mißbrauch kirchlicher Täter und seine Vertuschung herhalten darf.
Ein Austritt aus den Kirchen kann leicht zu vollzogen werden (auch wenn derzeit mit einer gewissen Wartezeit durch die Terminvergabe bei den Standesämtern zu rechnen ist). Niemand muss über diesen Schritt Rechenschaft ablegen. Vielleicht ist es auch ganz gut, dass man noch nicht digital austreten kann, sondern persönlich bei einer für den Austritt zuständigen Stelle erscheinen muss. Der Austritt ist eine persönliche Entscheidung. Die persönliche Abgabe der Erklärung bewahrt diesen persönlichen Charakter und kann dazu anregen, sich die Entscheidung noch einmal zu überlegen.
Ich mute den Lesern eine ausführliche Darstellung wichtiger Gesichtspunkte zu, die bei der Frage Austritt oder Bleiben bedacht werden sollten. Ich will nicht verheimlichen, dass ich kirchlicher „Insider“ bin, wenn auch ein kritischer. Aus dieser Sicht habe ich den Artikel geschrieben, aber meine Perspektive hebt Aspekte hervor, die Austrittswillige leicht übersehen. Wer seine Entscheidung überlegt und verantwortungsvoll treffen will, wird sich umfassend informieren wollen.
Es ist interessant, was mir der Chatbot (Künstliche Intelligenz/AI) von ChatGPT auf die Frage antwortet: "Bist du für einen Kirchenaustritt?":
As a language model, I don't have personal opinions or beliefs, I am only able to provide information based on what I've been trained on. The decision to leave a church is a personal one and can depend on many factors, including an individual's religious beliefs, cultural background, and personal experiences. It is important for individuals to carefully consider their reasons for leaving and any potential consequences before making a decision. ... Es ist wichtig, dass Personen ihre Gründe für das Verlassen und mögliche Konsequenzen sorgfältig abwägen, ehe sie eine Entscheidung treffen.
Von Kirchengegnern und kirchenkritischen Vereinigungen wie der „Humanistischen Union“ werden die im deutschen Grundgesetz (Art. 140) festgelegten und teilweise aus der Weimarer Verfassung übernommenen „Privilegien“ der Kirchen wie Steuererhebung mit Hilfe des Staates, Rechtsfähigkeit als „Körperschaft öffentlichen Rechts“ und Religionsunterricht an öffentlichen Schulen kritisiert und ihre Aufhebung gefordert. Dabei wird meist nicht beachtet, dass diese Rechte auch anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften „auf Antrag“ zustehen, „wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.“
Von Kirchengegnern wird die Schrumpfung der Kirchenmitgliederzahl mit Befriedigung und teilweise mit Schadenfreude begrüßt.
Versuchen wir einmal die unpersönliche und allgemeine Statistik etwas zu individualisieren und die jeweiligen Fragen zu präzisieren.
Es ist das Recht eines jeden, seinen eigenen individuellen religiösen oder weltanschaulichen Weg zu gehen. Dass dezidierte Atheisten eine Kirchenmitgliedschaft ablehnen, ist folgerichtig. Man könnte sich zwar vorstellen, dass sie mit ihren kritischen Fragen in den Kirchen eine konstruktive Rolle spielen, aber das muss nicht sein. Sie können das auch außerhalb der Institutionen der Kirchen wahrnehmen. Ob ihre mit dem Atheismus oft verbundene Kirchenfeindschaft berechtigt ist, müssten sie sich allerdings fragen lassen. Dass die Kirchen als Institutionen und auch manche ihrer Vertreter oder Mitglieder Anlass zu Kritik geben, sei unbestritten, aber sehen die entschiedenen Kirchengegner auch die für unsere Gesellschaft und einzelnen Menschen positiven Seiten der Kirchen und des Christentums?
Anders ist es mit denen, die nicht entschieden christentumsfeindlich sind.
Nicht wenige der Ausgetretenen oder Austrittswilligen haben schlechte Erfahrungen mit Kirchenoffiziellen, einem bestimmten kirchlichen Milieu und einer gewissen Sorte von Gemeindemitgliedern gemacht. Als Folge haben sie innerlich oder auch faktisch mit der Kirche gebrochen, ohne dass sie sich immer als „ungläubig“ bezeichnen würden. Manche bisher mit ihrer Kirche Verbundene haben sich über Stellungnahmen oder Aktionen der Kirchen geärgert, die konträr zu ihren Überzeugungen liegen. Andere haben sich vom christlichen Glauben entfernt oder sind nie mit ihm wirklich in Berührung gekommen. Sie schätzen sich als „indifferent“ ein. Christlicher Glaube ist ihnen gleichgültig, ohne dass sie ihm ausgesprochen feindlich gegenüberstehen.
Bedenken Austrittswillige und Ausgetretene die gesellschaftlichen Folgen ihrer „Kirchenflucht“?
Auch in diesen Fällen ist es folgerichtig, wenn Menschen sich fragen, was sie noch in den Kirchen sollen und verständlich, wenn ihnen der Austritt leichtfällt. Ich frage mich aber, ob sie sich immer klar machen oder klar gemacht haben, welche Folgen ihre meist subjektive Entscheidung für das soziale, kulturelle und geistige Leben unserer Gesellschaft hat. Der Rückgang kirchlicher Präsenz und die zunehmende Distanz zu den durch sie vertretenen Werten führt dazu, dass das Klima in unserer Gesellschaft kälter, egoistischer, nutzenbetonter wird. Traditionen, auf denen sich unsere Gesellschaft gründet, brechen ab oder werden sinnentleert. Religiöser „Analphabetismus“ oder unkritische Auslieferung an fragwürdige „esoterische“ Angebote nehmen zu. Kritische Beiträge zum gesellschaftlichen Diskurs, die aus den Kirchen kommen, verhallen ungehört.
Ich erinnere an die "Denkschriften" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu politischen und sozialen Fragen, von denen manche weiterführende Anstöße und Einflüsse auf die Politik ausgingen.
Das Verhältnis von Kirche und Staat in der BRD - ein historisch enstandener Prozess
Die Vorstellung einer strikten Trennung von Staat und Kirche kann für eine säkulare oder religiös-weltanschaulich plurale Gesellschaft als plausibel erscheinen. Dies geht aber an den komplexen Verhältnissen in Deutschland vorbei.
Wer für eine völlige Trennung von Staat, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist, also für einen rein säkularen Staat plädiert, stellt das in Deutschland historisch entstandene Verhältnis zwischen den religiös-weltanschaulich sinnstiftenden Institutionen/Vereinigungen und dem Staat in Frage. Dieses Verhältnis ist im Grundgesetz und den darin übernommenen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung geregelt.
Der Staat enthält sich der religiös-weltanschaulichen Sinnstiftung. Er überlässt dies den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, wobei er jedem die Wahl seiner Verortung überlässt:
„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“
Der Staat garantiert die „ungestörte Religionsausübung“ und das „Selbstbestimmungsrecht“ der Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften. Diese Freiheiten sind aber insoweit eingeschränkt, dass sie „nicht die Rechte anderer verletz[en] und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verst[oßen]“ dürfen. Außerdem darf niemand wegen „seines Glaubens, seiner religiösen … Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Das deutsche Staatswesen ist nicht gänzlich neutral. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes und – wie es heißt - „das deutsche Volk“ - haben sich das Grundgesetz „im Bewußtsein“ ihrer „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ gegeben, beziehen sich also auf eine sehr allgemeine, aber letztlich christliche Tradition und die Menschenrechte. Dabei stehen die Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur mit ihrer Zerstörung christlicher Werte und Verachtung der Menschenrechte im Hintergrund. Mit der Weimarer Verfassung wird die Obrigkeits- und „Staatskirche“ des Bismarck-/Kaiserreiches und das landesherrliche Kirchenregiment abgeschafft. Darüber hinaus findet der Versuch des nationalsozialistischen Regimes eine „Nationalreligion“ und „völkische“ Kirche zu installieren Ablehnung. Vor diesen historischen Hintergründen räumt das Grundgesetz den Kirchen gewisse überkommene Rechte ein und schützt sie (wie Kirchensteuererhebung, laufende Entschädigungszahlungen für die Verluste und Enteignungen 1803, Religionsunterricht an staatlichen Schulen u.a.). Wenn man so will, sind diese Rechte und Unterstützungen ein historischer Kompromiss zwischen überlieferten Ansprüchen der Kirchen und ihrer Ablösung durch ein säkular orientiertes Staatswesen. Auch die weitgehend entkirchlichten Länder der DDR sind dem Grundgesetz „beigetreten“, wobei nicht nur die Kirchen der DDR das Grundgesetz als Befreiung von staatlich-totalitäre Bevormundung begrüßt haben, sondern auch die Mehrzahl der Menschen.
Jedenfalls zeigt diese Analyse, dass es nicht möglich ist, das Verhältnis von Staat und Kirchen zu ändern, ohne in die verfassungsmäßigen Grundlagen der BRD einzugreifen.
In Ländern wie Frankreich oder den USA, in denen rechtlich eine striktere Trennung von Staat und Kirche herrscht, haben andere historische Umstände zum jeweiligen Ergebnis geführt. Am Beispiel der USA zeigt sich, dass die verfassungsmäßige Trennung von Staat und religiösen Denominationen keineswegs zu weniger Einfluss der Religiösen auf Gesellschaft, staatlicher Gesetzgebung und Politik führen muss. Die Intoleranz gegenüber konfessionell Nichtgebundenen und Atheisten dürfte größer sein als in der bundesrepublikanischen Gesellschaft.
„Subsidiarität“ als Prinzip der Eingrenzung staatlicher Zentralmacht
Von Anhängern einer strikten Trennung von Staat und Kirche sowie Kirchengegnern wird die staatliche Übernahme von diakonischen Einrichtungen der Kirchen – wie Kindergärten, Krankenhäusern, Altenheimen, Behinderteneinrichtungen u.a. – gefordert. Wie diesen möchte man im Bildungsbereich Schulen, Ausbildungsstätten und Bildungswerken in kirchlicher Trägerschaft die staatlichen bzw. kommunalen Unterstützungen entziehen, sie ganz beseitigen oder in staatliche Trägerschaft überführen.
Dies widerspricht einer in Deutschland und in der EU verfassungsmäßig verankerten Regelung politisch-gesellschaftlicher Aufgaben: dem Subsidiaritätsprinzip. Es besagt, dass öffentliche Aufgaben möglichst auf der niedrigsten zur Verfügung stehenden politisch-gesellschaftlichen Ebene gelöst werden, ehe höhere staatliche Instanzen regulativ eingreifen. Diese Regelung überlässt soziale Aufgaben auch nichtstaatlichen Trägern gemeinnütziger Zusammenschlüsse, Organisationen wie der Arbeiterwohlfahrt, dem Roten Kreuz, den diakonischen Werken der Kirchen, Diakonie, Caritas … Solche Vereinigungen verfolgen gemeinnützige Zwecke, sind zwar gehalten wirtschaftlich, aber nicht gewinnorientiert zu arbeiten. Ihre Einnahmen dürfen nur für die Satzungswecke verwendet werden. Ihr großer Vorteil ist, dass sie bürgernah arbeiten können, mit Bürgern, z. T. im Ehrenamt, und in unmittelbarem Kontakt mit ihren Klienten.
Als Beispiel nenne ich die „Satzung des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung e.V“ (dabei auch: „Brot für die Welt“). Da heißt es in der „Präambel“:
„Der Dienst im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung ist den Zielen verpflichtet,
- unterschiedslos allen Menschen beizustehen, die in leiblicher Not, seelischer Bedrängnis, Armut und ungerechten Verhältnissen leben;
- die Ursachen dieser Nöte aufzudecken und zu benennen und zu ihrer Beseitigung beizutragen;
- den kirchlichen Beitrag zur Überwindung der Armut, des Hungers und der Not in der Welt und ihrer Ursachen in ökumenischer Partnerschaft zu gestalten;
- gemeinsam mit den ihn tragenden Kirchen und diakonischen Verbänden in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft für eine gerechte Gesellschaft und eine nachhaltige Entwicklung einzutreten;
- Zeugnis einer gelebten Hoffnung auf das Heil zu geben, das in Jesus Christus allen Menschen verheißen ist.“
§ 2,1 der Satzung legt fest:
- Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke...
Würde der deutsche Staat, einschließlich der Länder, alle Aufgaben an sich ziehen, die solche Werke leisten, dann wären er überfordert, finanziell, personalmäßig. Da ein erheblicher Teil der Arbeit solcher Einrichtungen durch Kirchensteuern, Spenden und ehrenamtliche Arbeit getragen wird, würde der Wegfall dieser Finanzierungswege zu einer höheren Steuerbelastung der Bürger führen. Man kann auch zweifeln, ob die betreffenden Arbeitsfelder in staatlicher Regie effektiver und qualifizierter bewältigt würden. Wir sehen in Staaten, die alles zentral regulieren, wirklichkeitsferne Ideologien und Programme, viel Bürokratie, Willkür, Leerlauf, Zwang. Solche Staaten sind in Gefahr totalitär zu handeln. Das Subsidiaritätsprinzip dagegen ist ein Bestandteil demokratischer Gesellschafts – und Politikgestaltung.
Da gemeinnützige Werke für die Gesellschaft oder den Staat wichtige Aufgaben erfüllen, ist es berechtigt, dass sie vom Staat unterstützt werden und auch finanzielle Zuwendungen (Subventionen) für die Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten, soweit sie die Finanzierung nicht selber erbringen.
Damit die Arbeit dieser nichtstaatlichen Einrichtungen nicht im Geheimen, unkontrolliert erfolgt, brauchen sie einen Rechtsrahmen. Dies ist die „Körperschaft öffentlichen Rechts“, die ihnen vom Staat gewährt werden kann. Die Einrichtung müssen sich dann im Rahmen des öffentlichen Rechts bewegen. Dadurch erhalten sie auch Hoheitsrechte. Im Falle der Kirchen sind solche Rechte: Mitarbeiter entsprechend dem öffentlichen Angestellten- oder Beamtenverhältnis einzustellen und zu besolden, eigene Gesetze und Gerichte zur Regelung ihre inneren Verhältnisse zu schaffen, Steuern zu erheben, bei der Bestellung von staatlich eingestellten Religionslehrern und Theologieprofessoren mitzuwirken u.a.
Auch die Haushalts- und Buchführung der Kirchen erfolgt nach öffentlich-anerkannten Grundsätzen (durch Kirchengesetze geregelt) und stellt eine zweckentsprechende sparsame, nachprüfbare und kontrollierte Verwendung kirchlicher Gelder sicher. Grundsatz ist die unabhängige Prüfung der Ausgaben durch eigens dafür eingerichtete Organe. (Die selbstherrlichen Baumaßnahmen einiger katholischer Bischöfe, kann ich für die evangelische Kirche nicht bestätigen.)
Aus eigener Erfahrung in meinen früheren Tätigkeitsfeldern kann ich berichten, dass die Ausgabenprüfungen durch kirchliche Gremien und Rechnungsprüfer, aber auch durch außerkirchliche Sachverständige - was manchmal erfolgt - sehr penibel waren.
Die Kirchen als „Körperschaften öffentlichen Rechts“ kooperieren mit dem Staat, auf Grund von Verträgen, mittels Verhandlungen und Absprachen: bei Verfahren, die die Genehmigung beider Seiten erfordern wie die Ernennung von Theologieprofessoren oder die Bestellung von Religionslehrern, die Entwicklung von Lehrplänen für den Religionsunterricht an staatlichen Schulen; weitere Bereiche sind Kindergärten, Schulen, karitativ-diakonischen Einrichtungen in kirchlicher oder kirchennaher Trägerschaft, die nicht nur kirchlichen, sondern auch staatlichen Vorgaben genügen müssen, die Kirchensteuererhebung mit Hilfe der staatlichen Finanzverwaltungen u.a.
Auch hier werden nicht eine gesellschaftliche Gruppe einseitig vom Staat begünstigt, sondern können prinzipiell vergleichbare Gruppierungen/Organisationen - nicht nur religiöse Gemeinschaften - die gleichen oder ähnliche Rechte beanspruchen.
Abgesehen von der Kooperationsnotwendigkeit in bestimmten Bereichen und Belangen, haben Kirchen- und Weltanschauungsgemeinschaften ein verfassungsmäßig garantiertes „Selbstbestimmungsrecht“. Dies bezieht sich auf Inhalte, also etwa Glaubensfragen und Zielsetzungen, aber auch die Gestaltung der inneren Lebens- und Arbeitsverhältnisse. Der Staat darf also nur eingreifen, wenn es um Missachtung grundgesetzlicher Ordnungen, für alle verbindlicher Gesetze und gesellschaftlich allgemein anerkannter Normen geht.
Kirchliches Arbeitsrecht – nachteilig und diskriminierend?
In Hinsicht auf Arbeitsverhältnisse hat das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen Kritik hervorgerufen. Kirchliche Mitarbeiter sollen in der Regel Mitglieder ihrer Kirche sein und den Glaubensinhalten und -praktiken positiv gegenüberstehen. Das ist einsehbar, denn diese Mitarbeiter vertreten in ihren Tätigkeiten ihre Kirche und sollten in der Arbeit auch deren Werte zum Ausdruck bringen. Problematisch ist es, wenn für die Römisch-Katholische Kirche die Wiederverheiratung geschiedener Mitarbeiter oder das Zusammenleben gleichgeschlechtliche Paare ein Kündigungsgrund ist. Dies ist rechtlich umstritten und wurde nicht immer von Gerichten bestätigt. Nach einem Entwurf der deutschen Bischofskonferenz soll das geändert werden. Inzwischen ist die Neufassung der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ der katholischen Kirche verabschiedet worden und wird den Bistümern zur Übernahme empfohlen. Künftig soll gelten:
„Der Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegt keinen rechtlichen Bewertungen und entzieht sich dem Zugriff des Dienstgebers.“
Für die evangelischen
Kirchen und die mit ihnen verbundenen Einrichtungen gelten Scheidung, Wiederverheiratung
oder Homosexualität nicht als Einstellungshinderungs- oder Entlassungsgrund. Auch bei Pfarrer*innen rufen sie keine disziplinarischen Maßnahmen mehr hervor. Selbst Bischöfinnen konnten sich zuletzt allerhand in dieser Hinsicht "leisten".
Ein anderer Kritikpunkt ist der sogenannte „Dritte Weg“ im kirchlichen Arbeitsrecht. Er gilt für Arbeiter und Angestellte im Kirchendienst. Löhne und Arbeitsbedingungen werden nicht durch Gewerkschaften, sondern durch paritätisch besetzte Kommissionen ausgehandelt – durch Konsensfindung. Streiks sind nicht vorgesehen. Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Arbeitskämpfe (unter bestimmten Bedingungen) sind aber grundgesetzlich verankert (Art. 9). Nach arbeitsgerichtlichen Entscheidungen können Kirchen ihren arbeitsrechtlichen Sonderweg beibehalten, müssen aber die Gewerkschaften in die Kommissionsverhandlungen einbeziehen. Im Endeffekt orientiert sich die Bezahlung von kirchlichen Mitarbeitern (außer Pfarrern und Kirchenbeamten) meist an kommunalen Tarifverträgen und (mit Zeitverzögerung) Tarifabschlüssen. Im Bereich evangelisch-diakonischen Werke gibt es auch dementsprechende Haus- oder Flächen-Tarifverträge
In den Kirchen und kirchennahen Werken gilt nicht das „Betriebsverfassungsgesetz“ (anwendbar auf Betriebe und Unternehmen) oder „Personalvertretungsgesetze“ (anwendbar in öffentliche Verwaltungen und Gerichten), sondern eine eigene Gesetzgebung: das „Mitarbeitervertretungsgesetz.“ in der evangelischen Kirche, in der römisch-katholischen die „Mitarbeiterverordnungen“ der Diözesen. Die Bestimmungen der kirchlichen Gesetze zur Mitarbeitervertretung gegenüber der Dienststellenleitung entsprechen im Wesentlichen den Personalvertretungsgesetzen der Länder. In bestimmten Bereichen gewähren die kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechte sogar ein höheres Mitbestimmungsniveau als die „weltlichen“ Pendants. Entsprechend der grundgesetzlich verankerten „Koalitionsfreiheit“ könnten sich auch kirchliche Mitarbeiter gewerkschaftlich organisieren und über die Mitarbeitervertretung für verbindliche und angemessene Arbeitsbedingungen eintreten, wie sie die Gewerkschaften vorschlagen.
Und so schlecht können die Arbeitsbedingungen bei den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden nicht sein, wenn nach einer Stern/Statista-Umfrage (2020) Diakonie und Caritas als beliebteste Arbeitgeber im Bereich Gesundheit/Soziales erscheinen.
Immerhin spricht für den kirchlichen Weg, dass die friedliche und kollegiale Aushandlungen von Konflikten der Grundbotschaft der Kirchen entspricht.
Ich bin auf diese arbeitsrechtlichen Verhältnisse und Entwicklungen eingegangen, weil die angeblich diskriminierenden oder nachteiligen kirchlichen Regelungen oft als Austrittsgrund angegeben oder von Kirchengegnern als Argument gegen kirchliche Einrichtungen angeführt werden, nicht immer mit Kenntnis der Begründungen, der rechtlichen Grundlagen und neuerer Entwicklungen.
Der Staat bezahlt alles – stimmt das immer? - Zwei Beispiele aus der Praxis
Es ist richtig, dass die soziale und bildungsbezogenen Arbeit der Kirchen und ihrer Werke (Diakonie, Caritas, Kindergärten, Schulen, Tagungsstätten u.a.) weitgehend auf öffentliche bzw. staatliche Zuschüsse angewiesen ist.
Wie Beteiligte wissen, reichen diese Subventionen aber nicht immer für einen qualifizierten Unterhalt und Betrieb der Einrichtungen aus. Ergänzend sind Mittel aus sonstigen Einnahmequellen nötig (Kirchensteuer, Mitgliedsbeiträge, Teilnahmegebühren, Stiftungen, Spenden).
Ich schildere ein Beispiel aus einer schwäbischen Gemeinde, in der ich zeitweilig als Pfarrer tätig war:
Der kommunale Kindergarten der Landgemeinde war baulich unzureichend geworden. Die Kommune sah sich aber außerstande, einen Neubau zu errichten. Sie betrachtete sich überhaupt mit dem Betrieb des Kindergartens als überfordert. Die Kommune trat an die evangelische Kirchengemeinde mit der Anfrage heran, ob diese nicht den Kindergarten übernehmen könne. Ohnehin seien die Einwohner des Dorfes fast alle evangelisch und stark christlich-kirchlich geprägt. Der Kirchengemeinderat entschied sich nach langer Debatte für die Annahme des Vorschlags und machte sich das Vorhaben zu eigen. Die Finanzierung des Neubaus war möglich, weil ich auf dem Dach des Pfarrhauses eine vergessene alte Kirchenbibliothek mit wertvollen Büchern entdeckt hatte. Durch den Verkauf der Bücher konnte der Neubau weitgehend finanziert werden. Hinzu kamen kommunale Zuschüsse, Spenden und Kostenreduzierungen von Architekt und Handwerkern. Die Verwaltung des Kindergartens wurde vom ehrenamtlich tätigen Kirchenvorstand und einem dafür Beauftragten übernommen, die Finanzierungsangelegenheiten vom Kämmerer der Kirchengemeinde mit Unterstützung der Fachbeamten des Kirchenkreises besorgt. Auch die Neueinrichtung des Kindergartens erforderte Zuschüsse aus dem Haushalt der Kirchengemeinde und wurde immer wieder großzügig gewährt. Die Erzieherinnen – die meist mit der Kirchengemeinde verbunden waren - wurden vom Diakonischen Werk des Kirchenkreises mit den bisherigen Gehaltseinstufungen übernommen und bekundeten eine deutliche Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Kinder wurden primär nach sozialen Gesichtspunkten aufgenommen – nicht nach konfessionellen – manchmal zum Ärger von Kirchengemeindemitgliedern. Es war Grundsatz, dass die evangelische Ausrichtung des Kindergartens den Respekt vor anderen Konfessionen, anderen Religionen und säkularen Einstellungen einschließt.
Es gilt auch sonst für kirchliche Kindergärten und Tagesstätten, dass der kommunale Zuschuss von durchschnittlich 80 bis 90 % der Sachkosten nicht die Behauptung rechtfertigt, „der Staat“ trüge ja eh die Kosten und somit seien die kirchlichen Einrichtungen unnötig. Nicht berücksichtigt werden dabei Kosten für Personal, Fortbildung und Beratung der Mitarbeiterinnen.
Und noch ein weiteres Beispiel aus meiner beruflichen Tätigkeit:
Das Land Nordrhein-Westfalen hat – wie auch andere Länder – die Fortbildung (und teilweise auch die Ausbildung) der staatlichen Religionslehrer an die Kirchen übergeben. Ich nahm diese Aufgabe für zwei große Kirchenkreise wahr, wobei ich auf langjährige Erfahrung als Lehrer, eine religionspädagogische Promotion und die Tätigkeit als Religionspädagogik-Dozent an einer kirchlichen Ausbildungsstätte für Theologen zurückgreifen konnte. Die Kirchenkreise bekamen vom Land für die geleisteten Stunden der Fortbildungs- und Ausbildungsseminare einen pauschalierten Kostenersatz. Dieser deckte in keiner Weise die realen Kosten. Die Aufwendungen für meine Besoldung, die der Sekretärin, des Büros und einer Bibliothek für Lehrkräfte, für Beratungen, Fahrten zu Schulen u. a. wurden vom Kirchenkreis getragen. Dieser und Kirchengemeinden stellten auch die notwendigen Räume für die Veranstaltungen und den dazugehörigen Service zur Verfügung. Insgesamt machte der Haushalt des Schulreferats einen beträchtlichen Teil des Kirchenkreishaushaltes aus. Es kam soweit, dass mich staatliche Dezernenten baten, als Gastgeber bei Fortbildungsveranstaltungen für Lehrerinnen und Lehrer anderer Fächer einzutreten. Wie sie sagten, seien sie mit ihren finanziellen und räumlichen Ressourcen nicht in der Lage, die „gastliche“ Atmosphäre herzustellen, die „bei Kirchens“ herrsche.
Nun kann man sagen, die Kirche lässt es sich eben etwas kosten, um Lehrer*innen und Schüler*innen für sich zu rekrutieren. Dazu ist zu sagen, dass Religionslehrerinnen und -lehrer sich nicht als kirchliche Agenten verstehen, sondern als Pädagogen und ihren Kirchen meist kritisch gegenüberstehen. Auch die Lehrpläne des heutigen Religionsunterrichts sehen nicht doktrinäre Glaubensvermittlung vor, sondern wollen einen fragenden, erfahrungsbezogenen, dialogischen Unterricht implantieren, in dem über „Wirklichkeit und Glauben“ informiert und gestritten wird.
Evangelischer und katholischer Religionsunterricht an staatliches Schulen ist dem Grundgesetz nach „ordentliches“ Lehr- und Pflichtfach für die Kinder evangelischer oder katholischer Eltern (außer in Bremen und Berlin), aber die grundgesetzliche „Religionsfreiheit“ erlaubt es, dass Eltern ihre Kinder vom Besuch befreien und „religionsmündige“ Schüler sich selbst „abmelden“ können. Konfessionslose oder Andersgläubige müssen nicht teilnehmen und besuchen - wenn eingerichtet – ein bekenntnisfreies „Ersatzfach“ oder Religionsunterricht ihrer Glaubensrichtung. Religionsunterricht beruht auf dem grundgesetzlichen „Recht der Religionsausübung“ - faktisch einem Angebot und der Möglichkeit, sich mit der Herkunftsreligion begründet und kritisch auseinanderzusetzen. Wenn Schule Persönlichkeitsentwicklung und Lebenskompetenz anstrebt, dann darf sie den Bereich der Religion nicht ausklammern. Religiöse Bildung hat zum Ziel, den jungen Menschen gegenüber religiösen Phänomenen und Fragen urteils- und entscheidungsfähig zu machen. Es kann durchaus als sinnvolle gesellschaftlich-staatliche Aufgabe betrachtet werden Religion nicht dem „Wildwuchs“, einem kirchlichen Abseits oder der privaten Beliebigkeit zu überlassen, sondern dem öffentlichen Diskurs auszusetzen. Religionsunterricht im Raum der öffentlichen Schulen ist ein Beitrag zu dieser Aufgabe.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die Erwachsenenbildungsarbeit der kirchlichen Bildungsstätten und Tagungshäuser (über 60 in Deutschland) hingewiesen.
Als Beispiel eines Tagungshauses nenne ich das „Evangelische Bildungszentrum“ Bad Bederkesa. Durchschnittlich kommen im Jahr 19 500 Gäste zu ca. 200 Veranstaltungen mit 41 Mitwirkenden. Das Programm ist weitgespannt: von beruflicher Fortbildung und Familienangeboten über Themen zu Klima, Demokratie, Theologie, Spiritualität, Kunst, Älterwerden, Ökologie bis zu Kursen zur Persönlichkeitsentwicklung.
„Unsere Gäste erwartet ein Angebot, das auf die Entwicklung und Entfaltung der Gesamtheit menschlicher Potenziale gerichtet ist – auf unsere intellektuellen, emotionalen, spirituellen, beruflichen und künstlerischen Bedürfnisse und Talente. Und das soll sich jede/r leisten können!“ (https://ev-bildungszentrum.de/editorial/)
Erwachsenenbildung als komplimetäre ("subsidiäre") Form zu staatlichen, kommunalen oder in freier Trägeschaft befindlichen Einrichtungen nimmt in den Kirchen einen großen Raum ein. Die evangelische Erwachsenenbildung blickt auf eine lange Geschichte in den reformatorischen Kirchen zurück. Heute besteht sie aus einem breit gestreuten und vielfältigen Netz an überregionalen, regionalen und gemeindlichen Lernorten. Organisatorisch sind evangelische Erwachsenenbildung auf EKD-Ebene in der "Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung" zusammengefasst. Ziel- und Inhaltskonzepte, Unterrichtsformen und institutionelle Gestaltungen sind unterschiedlich. Gemeinsam ist aber der teilnehmerorientierte, lebensweltlich-gesellschaftsbezogene, ökumenische und interkulturelle Ansatz. Spezifisch ist der Dialog zwischen christlicher Botschaft, Kirche und Welt. Ziel ist selbstbestimmtes, partizipatorisches Lernen und Leben zu ermöglichen, auch in religiöser Hinsicht.
Wie ich aus eigener Mitarbeit weiß, reichen die staatlichen Zuschüsse bei weitem nicht aus, die Kosten der Einzelveranstaltungen und des gesamten organisatorischen Verbundes zu decken. Allein die Erstellung von Fernstudienmaterial für Mitarbeiter*innen in der kirchlichen Erwachsenenbildung und andere Zielgruppen (ich war zeitweilig daran beteiligt) erfordert ein eigenes Team und eine Arbeitsstelle, die von der EKD und den Landeskirchen finanziert werden.
Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft werden vom Staat finanziert – warum also dieser Sonderweg?
Einer „Legende“ muss man entgegentreten: dass Krankenhäuser und Altenheime in kirchlicher oder diakonisch/karitativer Trägerschaft aus Kirchsteuer- oder sonstigen kirchlichen Mitteln finanziert würden. Sie finanzieren sich über die Zahlungen, die sie von ihren Klienten erhalten, über Krankenkassen, Pflegeversicherung und Zuschüsse des Bundes, der Länder und Kommunen.
Aber ganz zutreffend ist dies doch nicht.
Das „Evangelische Krankenhaus“ der Stadt, in der ich als „Schulreferent“ tätig war, wurde 1877 als kleine Krankenstation von der Kirchengemeinde gegründet. Die Kirchengemeinde wollte damit eine Mangelsituation beheben, die vor allem ärmere Menschen betraf. Im Laufe der Zeit ist das Krankenhaus eine selbständige Einrichtung geworden (gemeinnützige GmbH). Heute präsentiert sich das Haus als großes und modernes Zentrum für ein „breites medizinisches Behandlungs- und Pflegespektrum.“ Zudem ist es akademisches Lehrkrankenhaus einer Universität. Bis 1952 waren Kaiserswerther Diakonissen als „Schwestern“ tätig, inzwischen sind dies freie Pflegekräfte.
Das Krankenhaus wird von einem „Förderkreis“ unterstützt, in dem Pfarrer*innen und Gemeindeglieder der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde stark beteiligt sind. Der „Förderkreis“ schreibt:
„Die öffentliche Krankenhausfinanzierung trägt nur die für den Betrieb notwendigen Kosten. Für das Wohlergehen der Patienten braucht es aber manchmal ein bisschen mehr. Diese bzw. eine Auswahl an Maßnahmen trägt der Förderkreis.“
Dabei kommen durch Mitgliedsbeiträge und Spenden beachtliche Summen zusammen. Nicht nur Einrichtungsgegenstände für die „Wohlfühlatmosphäre“ im Krankenhaus wurden beschafft, sondern auch wichtige medizinische Geräte. Ein Bus für Hol- und Bringdienste konnte zur Verfügung gestellt werden. In Corona-Zeiten erhielt das Personal Masken, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel. Auch an der Schaffung einer „Seniorenstation“ für Demenzkranke beteiligte sich der Verein.
Die Besonderheit des Krankenhauses liegt nicht in der Finanzierung und in der rein medizinischen Behandlung, sondern im christlich orientierten Leitbild, das dem Umgang mit den Patienten zugrunde gelegt wird:
„Das Evangelische Krankenhaus … trägt die Menschenliebe Gottes weiter an die Patienten und deren Angehörige und stellt sie deshalb in den Mittelpunkt aller seiner Aktivitäten. Der Wandel der Patientenrolle vom Empfänger medizinischer Dienstleistungen zu einem Partner im Behandlungs- und Gesundungsprozess wird gefördert.“
Dazu gehört auch die Krankenhausseelsorge, die „eine wichtige Ergänzung des ärztlichen und pflegerischen Handelns“ bildet. Eine ansprechend ausgestaltete Kapelle steht für Rückzug und Besinnung von Patienten und Besuchern zur Verfügung.
Dieselben Grundsätze gelten übrigens auch für die von beiden Kirchen betriebene Telefonseelsorge mit ihrem weitgespannten Netz (104 Stellen). Jeder kann sich jederzeit kostenlos, anonym in Problem- und Krisensituationen an sie wenden. Gerade für unsere krisenhaften Zeit ist diese Möglichkeit wichtig und wird viel in Anspruch genommen.
Man mag fragen, wieweit das zitierte Leitbild des Krankenhauses in der Realität verwirklicht wird. Patienten- und Mitarbeiterurteile über die Klinik sind gemischt. Man kann aber auch in einem „Evangelischen Krankenhaus“ nicht erwarten, dass hier nur perfekte und christlich motivierte Menschen tätig sind. Der Druck, unter dem Mitarbeiter in deutschen Krankenhäusern stehen, macht auch vor diesem Krankenhaus nicht Halt. Aber immerhin erinnert ein solches korporatives Leitbild Ärzte, Pflegepersonal und Verwaltungsmitarbeiter an die Verpflichtung einer würdevollen und ganzheitliche Behandlung der Patienten, die sie mit ihrer Einstellung eingegangen sind, eine Verpflichtung, die Patienten und Angehörige in diesem Krankenhaus auch einfordern können. In dem technisierten, zersplitterten und seelenlosen Betrieb vieler Kliniken ist eine solche Haltung längst verloren gegangen oder wird nur von einzelnen gegen den allgemeinen Trend praktiziert.
Christliche Motivation in der Krankenpflege - ein Qualitätsmerkmal?
Dass christliche Motivation in der Krankenpflege sich positiv auf den Umgang mit Patienten auswirken kann, möchte ich wieder durch ein selbsterlebtes Beispiel schildern.
Als Student war ich als Zeitungs- und Zeitschriftenverkäufer in den Universitätskliniken meines Studienortes tätig. Dabei hatte ich die Gelegenheit mit Patienten, Pflegepersonal und Ärzten zu sprechen. Auf einigen Stationen war die Pflege Ordensfrauen oder Diakonissen übergeben worden. Ich konnte beobachten, dass sie streng auf Einhaltung der Krankenhausregeln und medizinischen Verordnungen achteten, z. B. auf das Rauchverbot. Den Verkauf von für sie „unmoralischen“ Zeitschriften (die manche Patienten bestellten) duldeten sie nicht. Ihre Tätigkeit war durch Disziplin, Engagement und pflegerische Sorgfalt geprägt. Ihr Umgang mit Patienten zeichnete sich durch personale und situative Zuwendung und - wenn nötig – auch seelsorgerliches Eingehen auf Kranke und Sterbende aus. Manche Patienten versicherten mir, sie hätten diese Stationen trotz der Strenge der „Schwestern“ wegen ihrer gewissenhaften und menschenzugewandten Pflege gewählt. Die besondere pflegerische Qualifikation der Ordensfrauen und Diakonissen wurde auch durch intensive Ausbildung und gemeinschaftliches Leben in den Ordens- und „Mutterhäusern“ erreicht.
Der pflegerische Stil der von Ordensfrauen oder Diakonissen geführten Stationen unterschied sich oft deutlich von solchen, in denen freies Pflegepersonal tätig war. Hier ging es lockerer zu, aber manchmal auch nachlässiger und unpersönlicher.
Heute gibt es nur noch wenige Ordensfrauen und Diakonissen in Krankenhäusern. Es bestehen aber immer noch große Diakonissen- oder Ordenskrankenhäuser. Neben den nicht in geistlichen Zusammenschlüssen eingebundenen Pflegekräften führen Angehörige diakonischer und karitativer Gemeinschaften den Geist und die Tradition der Ordensfrauen und Diakonissen fort.
Krankenhäuser und Seniorenheime in kirchlicher Trägerschaft abschaffen?
Es gibt in Deutschland ca. 500 Kliniken in Trägerschaft der Kirchen oder ihrer Werke. Unter rein medizinischen und finanziellen Gesichtspunkten könnte man sie in öffentliche Trägerschaft überführen. In einigen Fällen erhielten Mitarbeiter sogar eine bessere und geregelte Bezahlung, die Konfessionsbindung und daraus resultierende eventuelle Einschränkungen würden entfallen. (In dem von mir geschilderten Evangelischen Krankenhaus werden sie nach den üblichen Tarifen oder Einstufungen bezahlt und erhalten darüber hinaus einige Vergünstigungen. Eine Konfessionsbindung wird nicht verlangt.)
Abgesehen davon, dass eine solche Umwandlung dem „Subsidiaritätsprinzip“ widerspräche, muss man fragen, ob Qualität und Atmosphäre in den Häusern besser würde.
Bund, Landkreise und Kommunen sind nicht daran interessiert, sich weitere Krankenhäuser aufzulasten und waren in der jüngsten Vergangenheit eher bestrebt sie loszuwerden als sie zu halten. Private und große Krankenhaus- und Pflegeunternehmen übernehmen dann die Einrichtungen. Da sie gewinnorientiert sind, führt das zur Schließung kleinerer und für sie unrentabler Häuser, schmälert also die Flächenversorgung der Bevölkerung. Staat und Steuernzahlende finanzieren – im Gegensatz zu gemeinnützigen Einrichtungen - Gewinne und Dividenden von Unternehmensteilhabern mit (auch wenn ein Teil der Gewinne durch Steuern wieder an den Staat zurückfließen). Die Verdrängung kirchlicher Trägerschaften von Krankenhäusern und Seniorenheimen dürfte dazu führen, dass nicht staatliche, sondern private Träger diese Einrichtungen übernehmen. Es kann bezweifelt werden, ob dies wünschenswert ist.
Ein
plurales Angebot, in denen es Menschen möglich ist, kirchliche Einrichtungen
anderen vorziehen, entspricht einer pluralen Gesellschaft. Es sieht auch so aus, als ob der Vertrauensverlust, den die Kirchen verzeichnen, sich nicht im selben Maß auf ihre Wohlfahrtsverbände erstreckt.
Den kirchlichen Trägern vorzuwerfen, sie würden von staatlichen Zuschüssen und nicht von kirchlichen Geldern leben – wie es sich gehöre - ist Polemik und verkennt die Sachlage. Kirchliche Krankenhäuser und Seniorenheime erfüllen subsidiär öffentliche, sozialstaatliche Aufgaben und werden deshalb staatlich subventioniert. Die Verwendung von Kirchensteuern oder anderen kirchlichen Einnahmen für diese Zwecke wäre unter diesen Umständen eine Fehlleitung der Mittel.
Die Forderung, die Kirchen sollten auf die staatliche Finanzierung von Krankenhäusern und Altenheimen verzichten, wenn sie sie schon wollten, und sie mit eigenen Mitteln betreiben, würde dazu führen, dass nur wenige Einrichtungen erhalten blieben und sie aus dem öffentlichen Gesundheits- und Pflegesystem herausfielen. Damit verbundene Standards könnten sinken und Kontrollfunktionen durch gesellschaftliche und staatliche Instanzen zurückgehen. Das Beispiel mancher dubioser Privatkliniken zeigt Gefahren einer solchen Entwicklung.
Nicht berücksichtigt bei dieser Forderung wird auch, dass Krankenpflege zu den ureigenen Aufgaben christlicher Gemeinschaften gehört. Schon in den frühen Gemeinden war sie institutionalisierter Bestandteil christlichen Lebens. Professionelle und institutionalisierte Nah-Krankenpflege für alle und auch Arme ist eigentlich eine „Erfindung“ des Christentums. In der römischen Gesellschaft war die Sorge um Kranke Privat-, Familiensache und einiger meist entfernter Spezialheiligtümer. Von ihrem Glaubens- und Selbstverständnis her sind Kirchen gehalten Krankenpflege zu ihrer Aufgabe zu machen, jeweils unter sich wandelnden Verhältnissen und heute unter den Bedingungen der staatlich-gesellschaftlichen Gegebenheiten der Länder, in denen sie tätig sind.
Woher nehmen die Kirchen das Geld und wie verwenden sie es?
In der „Kosten-Nutzen-Abwägung“ der meisten Austrittswilligen spielt eine Rolle, dass sie nie oder selten Gottesdienste besuchen und sich auch nicht auf sonstige kernkirchliche „Serviceleistungen“ angewiesen sehen: Trauung, Taufe, Konfirmation ihrer Kinder, Begräbnis … Für entsprechende Riten gibt es auch säkulare Anbieter, falls sie gewünscht sind. Kirche stellt sich für sie vor allem als Ort der „Verkündigung“ von Glaubensinhalten, mit denen sie nichts „am Hut“ haben und sakramentaler Ritualen dar, die ihnen aus der Zeit gefallen erscheinen. Warum also in diesem „Club“ von Abgesonderten bleiben und hohe Beiträge zahlen? Die Kirchen sind reich und werden ohnehin vom Staat gut dotiert!
Hin und wieder komme ich mit Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, über ihren Austritt ins Gespräch. Nicht selten haben sie die geschilderte Sicht auf die Kirche. Wenn ich ihnen erzähle, was Kirche alles mit ihrem Geld macht, sind sie meist erstaunt und sagen, so hätten sie das noch nicht gesehen.
Fragen wir erst einmal, welche Einnahmen die Kirchen haben und woher sie kommen. Das ist bei den einzelnen Diözesen und Landeskirchen unterschiedlich. Ich beschränke mich auf ein Beispiel, das der größten evangelischen Landeskirche, der „Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers“, in der ich zeitweilig tätig war.
Die Haupteinnahmequelle sind Kirchensteuern, in der Hannoverschen Landeskirche zu etwa 90%. (In anderen Landeskirchen kann dies bis zu 60% absinken, wobei es einen innerkirchlichen Ausgleich gibt.) Örtlich wird „Kirchgeld“ für konfessionsverschiedene Paare oder Nichtkirchensteuerveranlagte erhoben. Hinzu kommen Einnahmen aus kirchlichen und diakonischen Dienstleistungen (Gebühren, Beiträge), aus Kollekten, Spenden, Nachlässen, Schenkungen, Erträge aus Grund-/Immobilienbesitz (Pacht/Mieten), aus Geldanlagen, bei Bedarf aus aufgenommenen Krediten. Hinzu kommen die sogenannten Staatsleistungen vom Land, die in der Hannoverschen Landeskirche ca. 4% der Einnahmen ausmachen. (In anderen Landeskirchen und Diözesen ist das meist weniger). Diese „Staatsleistungen“ sind von den staatlichen Subventionierungen der gemeinnützigen Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft zu unterscheiden. Insbesondere die „Staatsleistungen“ sind in der Öffentlichkeit umstritten.
Dabei handelt es sich um bis heute laufende Ersatzzahlungen für im 19. Jahrhundert vorgenommene Enteignungen kirchlicher Güter und kirchlichen Vermögens (im Rahmen der staatlichen „Säkularisierungen“) und die abgeschaffte Dotierung der Kirchenleitungen durch die Landesherren. Infolgedessen werden diese Leistungen meist weiterhin für die Dotierung von Bischöfen und anderen Kirchenleitungspersonen verwendet. In der Hannoverschen Landeskirche fließen sie auch in die Pfarrbesoldung ein. Diese Staatsleistungen sind vertraglich und verfassungsmäßig abgesichert und geregelt, wobei schon in der Weimarer Verfassung ihre Ablösung durch eine Einmalzahlung vorgesehen ist. Dies ist bis heute nicht geschehen. Die Ampelkoalition plant, „einen fairen Rahmen“ für die Ablösung der Staatsleistungen zu schaffen. Die Kirchen haben ihre Bereitschaft zu einer angemessenen Lösung bekundet. Die Politik zögert aber, da es sich um hohe Summen handeln würde, die die Länder aufbringen müssten. Die Kritik an diesen Staatsleistungen entzündet sich daran, dass hier alle, auch nicht kirchlich gebundene Steuerzahler zu einer Staatsleistung für eine spezifische Aufgabe der Kirchen herangezogen werden, nämlich den Unterhalt ihres Führungspersonals.
Meist wird bei der Kritik nicht beachtet, dass Gesellschaft und Staat eine Rückvergütung durch kirchliche Aktivitäten erhalten, die von öffentlichem Interesse sind und durch kirchliche Eigenmittel finanziert oder mitfinanziert werden. Folgende werden beispielhaft mit Angabe der Aufwendungen aus dem Haushalt der Hannoverschen Landeskirche (2018) genannt:
· Mittel für Schulen in kirchlicher Trägerschaft inkl. Investitionen: 7,5 Mio Euro
· Mittel für Kindergärten: 24,6 Mio Euro
· Entwicklungsdienst und Katastrophenhilfe: 4,2 Mio Euro
· Denkmalpflege: 17,6 Mio Euro
· Jugendhilfe/Jugendwerkstätten: 0,6 Mio Euro
· Seelsorge an Ausländern und Aussiedlern: 4,5 Mio Euro
· Straffälligenhilfe: 0,2 Mio Euro
· Freiwilliges Soziales Jahr: 0,2 Mio Euro
· Hospiz- und Palliativarbeit: 0,6 Mio Euro
· Sozialarbeit/Sozialpädagogik: 0,9 Mio Euro
· Familienbildungsstätten: 1,3 Mio Euro
Fazit: Diese und weitere kirchliche Leistungen für Staat und Gesellschaft sind fast doppelt so hoch wie die erhaltenen „Staatsleistungen“!
Wir sind damit bei der Verwendung der Kirchensteuern. Die folgende Graphik zeigt im Groben ihre Verwendungszwecke in der Hannoverschen Landeskirche:
Der größte Posten in Haushalten der Landeskirchen und Diözesen sind die Personalkosten. Sie können bis zu 70% steigen. Das hängt nicht damit zusammen, dass Pfarrer und sonstige kirchliche Mitarbeitet außerordentlich viel verdienen - ihr Gehalt entspricht vergleichbaren staatlichen Beamteneinstufungen oder Tarifen.
Ausnahmen sind katholische Bischöfe und evangelische
Landesbischöfe, die auf Grund der Staatsleistungsverträge (zwangsweise) gut
dotiert sind. Das relativiert sich aber, wenn man Vergleiche heranzieht: sie
erhalten nicht ganz so viel wie Bundestagsabgeordnete, an Minister- oder Managergehälter kommen
sie nicht heran. Aus Kirchensteuermitteln werden diese kirchlichen Gutverdiener jedenfalls nicht bezahlt.
Immerhin äußerte der frühere Ratvorsitzende der EKD Landesbischof Bedford-Strohm seine Bedenken an der eigenen hohen Dotierung (B 9 - 12.061 Euro brutto monatlich, ca. 7000 Euro netto), der er sich aber aus beamtenrechtlichen Gründen nicht entziehen kann. Seine Stellungnahme (2021) dazu ist:
"Ich nutze dieses hohe Gehalt im Moment vor allem dazu, Projekte zu unterstützen, die mir am Herzen liegen. Das ist meine persönliche Umverteilung. Zum Leben brauche ich so viel Geld nicht." (Interview, Süddeutsche Zeitung 02.09.21)
In der Beamtenbesoldungsgruppe B 9 befinden sich Staatssekretäre, Präsidenten von Behörden, Botschafter und Generäle. Ein Landesbischof - noch dazu als "Präsident" der EKD - hat also eine durchaus vergleichbare Position. (Ob solche Gehälter in den Kirchen angemessen und auf die Dauer haltbar sind, ist allerdings eine andere Frage.)
Der hohe Aufwand von zum größten Teil aus Kirchensteuern oder Eigenmittel der Werke finanzierten sonstigen Personalkosten hängt damit zusammen, dass kirchliche Arbeit überwiegend auf Menschen bezogen ist, also personalintensiv ist.
Zu bedenken ist auch, dass die Kirchen nicht nur "Himmelskomiker" beschäftigt - so ein Gesprächspartner zu mir - also Pastoren/Pastorinnen. Die Zahl der anderen Mitarbeiter*innen auf den vielfältigen Arbeitsfeldern ist weitaus größer. Zudem benötigen Großorganisationen wie die Kirchen mit ihren zentralen und verzweigten Strukturen einen beträchtlichen, personell und qualitativ ausreichend ausgestatteten Verwaltungsapparat, um zu funktionieren.
Die Entwicklung der Kirchensteuereinnahmen - wohin führt sie?
Das Kirchensteuereinnahmen sind in den letzten Jahren trotz der Mitgliederverringerung moderat gestiegen (mit Ausnahme des Pandemiejahres 2020) und steigen weiter. Das hängt mit der Koppelung der Kirchensteuer an die Einkommen der kirchensteuerzahlenden Kirchenmitglieder zusammen. Deren Einkommen sind gestiegen und haben teilweise den Ausfall durch Ausgetretene kompensiert. Es steigen aber auch die Kosten kirchlicher Arbeit, wobei die Personalkosten ein großer Faktor sein werden. Dies führt und wird weiter zu Einnahmeverlusten führen, die die Kirchen jetzt schon zu Sparmaßnahmen zwingen. Gehen Mitgliederschwund und Kostensteigerungen weiter, wird längerfristig ein Kipppunkt erreicht, in dem das Einkommenswachstum der verbleibenden Kirchensteuerzahler und der daraus resultierende Kirchensteuereingang nicht mehr mit den Ausfällen durch den Rückgang der zahlenden Kirchenmitglieder und den Kostensteigerungen Schritt halten kann. Berücksichtigen muss man dabei auch, dass nicht nur Austritte zur Minderung des Kirchensteueraufkommens beitragen, sondern auch geburtenstarke Jahrgänge ins Rentenalter kommen und damit gar keine oder wenig Kirchensteuer zahlen. Das Heranwachsen neuer Mitglieder wird sich durch Geburtenminderung, Rückgang der Taufen und ausfallende christlich-kirchliche Sozialisation verringern.
Längerfristig werden diese Entwicklungen dazu führen, dass die Kirchen bisherige Arbeitsfelder einschränken oder aufgeben müssen. Anzunehmen ist, dass das vor allem gesellschaftsrelevante Aktivitäten betreffen wird. Dies wird mit einer Reduzierung des Personalbestands einhergehen. Immerhin sind die Kirchen und kirchliche Werke die zweitgrößten Arbeitgeber nach dem Staat in Deutschland und bieten eine breite Palette an Arbeitsmöglichkeiten. So könnte aus einer gesellschaftlich engagierten „Sozialkirche“ eine binnenkirchlich orientierte „Kerngemeindekirche“ werden, die vor allem ihr Innenleben pflegt und unterhält. Das Urteil, ob das wünschenswert und gut für die Gesellschaft ist, überlasse ich dem Leser.
Reste einer "armen Kirchenmaus" vor Kircheneingang. Geflüchtet? Verhungert? |
Streit um die staatlich eingezogene Kirchensteuer
Es werden allezeit Arme sein im
Lande; darum gebiete ich dir und
sage, dass du deine Hand auftust
deinem Bruder, der bedrängt und
arm ist in deinem Lande. (5. Mose
15, 11)
Lande; darum gebiete ich dir und
sage, dass du deine Hand auftust
deinem Bruder, der bedrängt und
arm ist in deinem Lande. (5. Mose
15, 11)
Die staatlich eingezogene Kirchensteuer ist umstritten. Staatsrechtlich wird argumentiert, sie widerspreche der grundgesetzlich festgelegten Trennung von Staat und Kirchen. Angeführt wird auch, sie sei eine „Zwangsabgabe“, die von den vielen „passiven“ Kirchenmitglieder erhoben werde, die das nur aus Bequemlichkeit oder Gewohnheit hinnähmen. Sie verschleiere, dass es eine ganz persönliche Sache sei, einer Religionsgemeinschaft anzugehören und sie zu unterstützen. Die Kirchensteuer erwecke den Eindruck, es handle sich um eine staatlich gewollte Pflichtabgabe statt wie eigentlich zutreffend ein Mitgliedsbeitrag. So sei nicht ein staatlicher Einzug angebracht, sondern von den Gemeinschaften selbst erhobene Mitgliedsbeiträge oder freiwillige Spendenleistungen. Solche Kritik wird nicht nur von außerhalb der Kirchen erhoben, sondern vereinzelt auch innerkirchlich.
Kirchensteuer - auch das Ergebnis eines historischen Prozesses
Das heutige Kirchensteuersystem ist – wie das Verhältnis von Staat und Kirche - das Ergebnis eines langen und komplizierten historischen Prozesses in deutschen Ländern, das nicht ohne weiteres aufgehoben werden kann.
Mit den Säkularisierungen anfangs des 19. Jahrhunderts wurden den Kirchengemeinden und Kirchenleitungen das Zehntrecht und die meisten anderen Einnahmequellen genommen. Einzelne Kirchengemeinden waren nicht mehr in der Lage sich selbst zu unterhalten, Landeskirchen und Diözesen konnten kaum übergemeindliche Aufgaben wahrnehmen. Verbliebenes Vermögen, örtliche Abgaben, kommunale Unterstützungen und Staatleistungen reichten nicht aus. Außerdem wuchs im Laufe des 19. Jahrhunderts die Zahl der Kirchenglieder, Gemeinden und Aufgaben an. Staatlicherseits wollte man die Kirchen als Stützen des Staates erhalten und auch ihre Finanzen kontrollieren. Es war aber für die Regierungen billiger als Staatszuschüsse zu gewähren, wenn die Kirchenmitglieder selbst mit einem regelmäßigen Betrag zur Kasse gebeten wurden. So entstand sukzessive in den deutschen Ländern eine Kirchensteuergesetzgebung, bei denen kirchlichen Gemeinden und Gesamtverbänden ein Steuererhebungsrecht zugestanden, die Mitgliederabgaben vom Staat abgefordert und den Gemeinden oder Gemeindeverbänden das Notwendigste zugeteilt wurde. Faktisch wurde den Kirchen diese Unterhaltsregelung aufgezwungen. Das fand durchaus nicht immer den Beifall bei ihnen, vor allem nicht in der katholischen Kirche, wo manche Diözesen und Werke über reichliche Abgaben- und Spendeneinnahmen verfügten. Man fürchtete – nicht unberechtigt - eine Einmischung des Staates in die kirchliche Selbständigkeit.
In der Weimarer Republik wurden Staat und Kirche getrennt, aber den Kirchen das Steuererhebungsrecht mit Hilfe des Staates belassen. Kirchensteuern konnten „auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten“ erhoben werden und wurden in der Folge von den Ländern eingezogen. Das Grundgesetz der BRD übernahm diese Regelung.
Kirchsteuererhebung ist also eine „res mixta“, bei der vor allem die Kirchen, aber auch der Staat profitiert. Die Kirchen sparen sich Verwaltungskosten, indem sie sich der effektiven und ohnehin vorhandenen staatlichen Finanzverwaltungen bedienen und diese erhalten eine Vergütung für die geleisteten Dienste (2 bis 4 % der Kirchensteuereinzüge).
Prinzipiell ist es aber auch auf dem Boden des Grundgesetzes nicht zwingend, dass die Kirchen Mitgliedsbeiträge über den Staat einziehen. In Bayern geschieht dies bei der Kircheneinkommenssteuer (nicht bei der Kirchenlohnsteuer) durch kirchliche Steuerämter. Das beruht auf dem „Kirchensteuergesetz des Bundeslandes Bayern“, das historische Hintergründe hat. Das funktioniert anscheinend, vielleicht aber nur in Bayern.
Die Kirchen werden aber von sich aus angesichts weit gespannter Aufgaben und Tätigkeitsfelder kaum von den sonst vorgegebenen rechtlichen Regelungen abrücken.
Kirchensteuer - Beitrag für eine offene und solidarische Kirche
Ab einer gewissen Größe sind Organisationen wie religiöse Gemeinschaften auf genügende und verlässliche Einkünfte angewiesen. Eine finanzielle Basis, die auf freiwilligen und individuellen, womöglich sporadischen Beiträgen beruht, klappt nur bei kleineren Gemeinschaften mit eng untereinander und mit den Gemeinschaftszielen verbundenen Mitgliedern, wie bei „Freikirchen“. Das Beispiel mancher amerikanischer Freikirchen zeigt, dass sie zwar vom Staat unabhängig sind, dafür aber von reichen Einzelspendern oder spendewilligen Vereinigungen, die natürlich ihren Einfluss geltend machen. Sie neigen oft zu sozialer Exklusivität und theologischem Fundamentalismus.
Die Großkirchen in Deutschland können es sich auf Grund der gegenwärtigen Verhältnisse leisten, plural, ökumenisch, weltoffen und gesellschaftsbezogen zu agieren, gegebenenfalls auch kritisch gegenüber Staat und Regierungen zu reagieren, ohne um ihre Selbständigkeit fürchten zu müssen. Schon allein die professionelle Ausbildung ihrer Mitarbeiter (etwa der Theologen an Universitäten) fördert eine gesellschafts-, fach- und wissenschaftsbezogene Ausrichtung. Dass die Kirchen immer ihren eigenen, hohen Ansprüchen genügen, wird man nicht erwarten dürfen. Nicht umsonst steht auf den Türmen vieler evangelischer Kirchen ein Hahn, der zweimal krähte, als Petrus seinen Meister verriet (Mk.14,22). Kein Mensch und keine Organisation ist unfehlbar.
Die mit Hilfe des Staates eingezogene Kirchensteuer als „Zwangsabgabe“ zu bezeichnen, hat stark polemischen Charakter. Jeder – außer kirchlichen Mitarbeitern – kann sich ihr entziehen. Man wird auch nicht unterstellen dürfen, dass alle der vielen „passiven“ Kirchenmitglieder keine guten Gründe haben in der Kirche zu bleiben.
Es ist ja auch nicht so, dass die Beträge unangemessen wären (8 oder 9% der Lohn- oder Einkommensteuerfestsetzung und auf über den Freibetrag hinausgehende Kapitalerträge). Bei einem Brutto-Jahreseinkommen von 30 000 Euro sind dies 1,81% des Netto-Einkommens. Dieser Betrag verringert sich zudem durch die steuerliche Absetzbarkeit als Sonderausgabe – die der Staat als Anerkennung der „gemeinnützigen Zwecke“ kirchlicher Arbeit gewährt. Die Kirchensteuerbelastung ist sozial gestaltet, indem sie sich nach dem Einkommen richtet. Bei sehr hohen Einkommen wird die Kirchensteuer auf 3% bis 3.5% gekappt. Arbeitslose, Geringverdiener und Rentner mit kleinem Einkommen – sie bilden einen großen Teil der Kirchenmitglieder und Teilnehmer kirchlichen Angebote - bezahlen gar nichts oder entrichten minimale Beträge, sind aber weiterhin Mitglieder ihrer Kirche. Insofern ist die Kirchensteuer auch ein Solidarbeitrag für einkommensschwache Kirchenangehörige.
Die Kirchen bewahren ein die Gesellschaft bereicherndes kulturelles, geistiges und spirituelles Erbe
Fortwirken der Gestalt Jesu in der Kunst (Dagmars Bildergalerie: "Karfreitag")
Mit der Kirchenmitgliedschaft und der Beteiligung an der Kirchensteuer leistet man nicht nur einen Solidarbeitrag zum innerkirchlichen, sondern auch zum sozialen, kulturellen, ethischen, geistigem und spirituellem Leben in der Gesellschaft.
Die beiden Großkirchen bewahren in dieser Hinsicht eine große Tradition, ein reiches Erbe – in unterschiedlicher Weise. Christentums- und Kirchengeschichte besteht nicht nur aus Unterdrückung, Ausbeutung, Intoleranz, Kreuzzügen, Ketzer- und Hexenverfolgung, das auch, traurigerweise. Man findet auch anderes. Am Anfang steht das Humanitäts- und Glaubenspotential in der Gestalt Jesu, man trifft auf Armen – und Krankenfürsorge, Kulturarbeit, Besinnung auf die Ursprünge, reformatorische Neuaufbrüche, zeitbezogene und kritische Bibelauslegung, denkerische Leistungen, spirituelle Schätze, vorbildliche Menschen.
Die Kirchen halten Fragen wach wie die, was den Menschen und menschliches Leben ausmacht: wie sieht ein ethisch verantwortbaren Leben aus, was gibt dem Leben tragfähigen Sinn, wie wird innerer und äußerer Frieden gefunden, wie kann soziales Miteinander gerecht und würdig gestaltet werden, wie wird die Schöpfung als lebenswerter Raum bewahrt … und zentral: die Frage nach dem Sein einer das Vorfindliche überschreitenden Transzendenz, den Vorstellungen von ihr, ihren Bekundungen ... Das sind Fragen, die unserer auf Nutzen, Leistung, Ego-Befriedigung und Unterhaltung getrimmte Gesellschaft guttun (würden). Kirche ist für Suchende, Fragende da, findet aber auch Antworten. Sie befriedigen nicht jeden, geben jedoch vielen Trost, Halt und Orientierung, gerade in kritischen Lebenssituationen.
Auch die Angebote einer rituellen Lebens(abschnitts)-Begleitung durch Taufe, Firmung, Konfirmation, Trauung, besondere Gottesdienste, Feiern, Eucharistie/Abendmahl, Beichte (vor allem in der katholischen Kirche), Krankensalbung, Begräbnis, können Halt und Orientierung geben. Solche gemeinsamen Bezugspunkte sind nicht nur im Interesse der Kirchen, sondern - soziologisch betrachtet - auch für die Stabilisierung und den Zusammenhalt einer Gesellschaft bedeutungsvoll.
Es gibt zwar Ersatzangebote auf dem Markt, aber sie haben nicht dieselbe Tradition und meist auch nicht die Symbolkraft und Bedeutungstiefe der kirchlichen Handlungen.
Menschen, die der Auffassung sind, auch ohne Kirche gläubig und Christ sein zu können, werden sagen: "Ich brauche diese äußerlichen Zeremonien nicht." Aber kann man Christsein nur aus sich schöpfen oder festhalten? Sie verzichten auf den persönlichen Zuspruch aus der Tradition einer Gemeinschaft, der die Rituale begleitet oder sich aus ihnen ergibt.
Doch auch beim Besuch eines normalen sonntäglichen Gottesdienstes kann sich ein solcher Zuspruch ereignen.
Man muß ihm aber die Chance geben sich zu ereignen.
Christentums- und Kirchenkritik - nicht immer auf hohem Niveau
Es gibt fundierte und berechtigte Kritik am Christentum und an den Kirchen. Das müssen Gläubige und Kirchen aushalten und oft ist die Kritik Chance zur Besinnung und Erneuerung. Man sollte in den Kirchen schon auf diese Kritik hören, wenn man wieder anschlussfähiger werden will.
Verbreiteter ist aber "vulgäre", gehässige und schlecht informierte Religions-, Christentums- und Kirchenkritik, die besonders in den Social Media anzutreffen ist. Das ist ein großes Problem für die Kirchen.
So wird man begründet nicht sagen können, dass Gläubige durchweg Hinterwäldner, Reaktionäre, unkritische Naivlinge, intellektuell Minderbemittelte, haltlose Phantasten oder arme Verführte seien, Bewertungen, die auf Seiten von Religionsfeinden nicht selten zu hören sind. Genauso unqualifiziert ist es - um ein weiteres Beispiel zu nennen - wenn Inhalte und Angebote der Kirchen allesamt als "Gesinnungskitsch- und Krempel-Jahrmarkt" bezeichnet werden ( Aus: Online-Magazin "Publico").
Die Generation von Theologen, der ich angehöre, sind im Studium einer kritischen und gesellschaftsbezogenen Theologie begegnet. Mit mir sind viele in den Pfarrberuf gegangen, weil wir durch unseren Dienst zu einer besseren und gerechteren Welt beitragen wollten, dies aus humanitären und Glaubensmotiven.
Religion, auch das Christentum, ist wie jeder Weltdeutungsentwurf ambivalent, kann zur humanen Gestaltung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens beitragen - oder missbraucht werden, für Machtzwecke, für Ausbeutung, Bereicherung und zu Fanatismus, Intoleranz, Überheblichkeit und intellektueller Beschränkung führen. Und - weniger schlimm - auch zu religiösem "Kitsch". In allen sozio-kulturellen Bereichen gibt es "Hoch"-Formen und "Trival"-Erscheinungen - nach sozial- und religionswissenschaftlicher Betrachtungsweise. Religiöse "Gesinnung" und Praxis ist davon nicht ausgenommen. Kirche ist auch in dieser Hinsicht eine „res mixta“, eine gemischte Gemeinschaft und Organisation. Jeder mag entscheiden, wo er den Schwerpunkt sieht, sollte aber die menschlich und gesellschaftlich positiven Seiten ihres Wirkens nicht übersehen.
Ich bin der Auffassung, dass diejenigen, die Kirchen nicht unterstützen wollen, anderweitig ihren Solidarbeitrag für soziale und kulturelle Zwecke leisten sollten, wie in Italien und Spanien.
Dort entscheiden Steuerpflichtige, ob ein Anteil ihrer Gesamtsteuerschuld (0,8/0,7%) entweder Kirchen oder sozialen bzw. kulturellen Zwecken zufließt – ohne dass sie bei der sozialen/kulturellen Option aus der Kirche austreten müssen.
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