Trump as President – God save the Americans and us. Warum Trump gewählt wurde. Eine Analyse des Wahlverhaltens der Amerikaner
Was ist nur mit den Amerikanern los?
In Europa sind viele fassungslos. Ein Präsidentschaftskandidat dessen „Rallies“ mit vulgären, antisemitischen, fremdenfeindlichen, frauenverachtenden lügenhaften, die Gegner beleidigenden, verschwörungsideologischen Äußerungen gespickt waren, hat die Wahl gewonnen. Knapp zwar nur bei den Wählern, aber mit deutlicher Mehrheit der Wahlleutestimmen. Ein Mann schickt sich an, das Weiße Haus und das Oval Office wieder zu übernehmen, der sich in 5 Prozessen vor Gericht verantworten musste und müsste – wegen Verleumdung, sexuellem Missbrauchs, Schweigegeldzahlung, Verschwörung/Unterstützung von Aufruhr, versuchtem Wahlbetrug und Mißbrauch von Geheimdokumenten - ein Mann, der strafrechtlich verurteilt wurde und gegen den ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wurde. Im Ursprungsland der neuzeitlichen Demokratie tritt einer, der antidemokratische Maßnahmen und Rachefeldzüge ankündigte, das höchste Amt an.
Was ist nur mit „den Amerikanern“ los – so fragen viele und greifen zu der Erklärung: es kann nur „Dummheit“ sein. Das Bild vom unbedarften, unbekümmerten Amerikaner macht wieder die Runde – ein Bild, das ich aus der Besatzungszeit in meiner Kindheit kenne.
Bei den Deutschen liegt jedenfalls die Sympathie weit überwiegend auf Seiten von Kamala Harris.
Wer Trump wählte, nimmt Verstöße gegen demokratische und moralische Regeln und Risiken in der Innen- und Außenpolitik in Kauf
Die moralische Bewertung eines Staatsmannes in einer Demokratie ist durchaus angebracht. Machiavellismus, d. h. das Streben nach politischer Macht unabhängig von Recht und Moral, ist nicht mit demokratischen Prinzipien vereinbar. Hinzu kommt der Zweifel, ob Trump überhaupt psychisch und mental geeignet ist, die größte Wirtschafts- und Militärmacht der Welt zum Wohle ihrer Bürger und der Welt zu führen.
Wer für Trump stimmte, hat einen narzistischen Egomanen gewählt, dem es an Selbstkontrolle und Selbstreflexion mangelt. Sein oberster Grundsatz scheint die Durchsetzung persönlicher Ziele zu sein, auch unter Umgehung anerkannter sozialer Normen. Es verwundert nicht, dass Trump sich von dem „ethischen Versprechen“ ausnehmen will, das bei der Amtsübernahme eines US-Präsidenten für diesen und sein Team üblich ist. Der „Ethics Pledge“ soll Konflikte zwischen Amtsführung und geschäftlichen Interessen ausschließen.
Eine andere Frage ist, wie es um seine Wähler bestellt ist. Wer einmal durch die USA reiste, der weiß, wie vielgestaltig das Land ist - schon rein geographisch – und wird bemerkt haben, wie unterschiedlich die Lebens- und rechtlich-politischen Verhältnisse in den 50 Bundesstaaten sind. Ihm wird aufgefallen sein, dass große Unterschiede zwischen ländlicher und städtischer Bevölkerung bestehen, aber auch dass die großen Städte unterschiedlich geprägt sind und dies noch einmal innerhalb ihrer Stadteile. Die Bevölkerungs- und Sozialstruktur der USA ist sehr divers. Die amerikanische Gesellschaft ist nicht nur durch Klassenunterschiede, sondern auch durch eine Vielfalt von Ethnien, kulturellen Einflüssen und dementsprechende Segmentierungen geprägt.
Natürlich gibt es bei aller Diversität auch Gemeinsamkeiten, im Lebenstil („American Way of Life“), in den Werten. Verbreitet ist – allerdings vorwiegend unter weißen „native Americans“ - der Stolz auf das eigene Land, der Patriotismus und der Individualismus [„Life, Liberty and the pursuit of Happiness“, wie es in der „Unabhängigkeitserklärung“ (1776) heißt]. Trotz dieses Individualismus ist eine Vielzahl von Amerikaner in sozialen Gemeinschaften engagiert. An der Spitze stehen religiöse Gruppen, in denen sich 40% der Amerikaner betätigen.
Die Freiheitsstatue in New York - Symbol der in der US-Verfassung niedergelegten Werte (Bild: Muhammed Berad Karagoez) |
Die Diversität und Komplexität der amerikanischen Gesellschaft müsste eigentlich skeptisch gegenüber Pauschalurteilen über „Die Amerikaner …“ machen. Der europäische Blick mit seinen „Defizittheorien“ moralischer oder intellektueller Art macht es sich wohl zu einfach. Es ist anzunehmen, dass die Wähler Trumps ihre Wahl anders sehen als ihre Kritiker in Europa, wobei sie wahrscheinlich auch noch unter sich unterschiedliche Beweggründe haben.
Man muss auch bedenken, dass die US-Bürger auf Grund der faktischen Zweiparteienherrschaft nur die Wahl zwischen zwei Kandidaten hatten, was für manche hieß, sich zwischen zwei in ihren Augen Unliebsamen zu entscheiden.
Trotzdem finde ich es erstaunlich und schwer verständlich, dass eine Mehrheit der US-Bürger sich eine so fragwürdige Gestalt wie Trump als Präsidenten vorstellen kann und ihn der Kandidatin der Demokraten vorgezogen hat - und dies bei einer enormen Machtfülle, über die er bei einem republikanisch bestimmten Senat und Repräsentantenhaus verfügen wird.
Da nützt es auch nichts zu sagen – so eine Wählerin – „Ich habe nicht Trump gewählt, sondern seine Politik“. Wer Trump und seine Politik gewählt hat, nimmt Verachtung demokratischer Werte und Einrichtungen wie Kompromissbereitschaft oder das Prinzip der Gewaltenteilung und -kontrolle in Kauf. Mag sein, dass viele Amerikaner, vor allem „Republikaner“, eine andere Vorstellung von „Demokratie“ haben, als Demokraten in Europa. Es ist aber nicht zu leugnen, dass Trump-Wähler auch Rassismus, Machismus, Frauenfeindlichkeit, Fanatismus, Intoleranz und eventuelle Gewalt gegen Andersorientierte in Kauf nehmen, selbst wenn sie das nicht billigen. Manches, wie die Ankündigung Trumps „die größte Deportation der amerikanischen Geschichte“ durchführen zu wollen, erinnert an faschistische Maßnahmen. Über diese „dunkle Seite“ des „Trumpismus“ musste man sich im Klaren sein, auch wenn man Trump nicht wegen seiner Person gewählt hat, sondern auf Grund konservativer Überzeugungen oder weil man Biden/Harris abwählen wollte.
Dass Trump Allmachtsphantasien nachhängt, vorgibt von Gott auserwählt zu sein und seiner Nation ein „goldenes Zeitalter“ verspricht, müsste eigentlich zu denken geben, beirrt aber offenbar viele nicht. Das könnte schon auf einen Mangel an Reflexionsfähigkeit und (geschichtliche) Bildung schließen lassen.
Dass nicht alle Wähler Trumps alles überblicken, was er und seine Entourage an innen-,wirtschafts- und außenpolitischen Maßnahmen plant und was für Folgen das haben wird, mag man ihnen nachsehen. Das von vielen Organisationen unterstützte Kompendium der mit Trump eng verbundenen rechtskonservativen Denkfabrik „Heritage Foundation“ mit seinem Aktionsplan für die ersten 180 Tage des nächsten republikanischen Präsidenten, das „Projekt 2025“, umfasst immerhin mehr als 900 Seiten. Trump kann man glauben, dass er den Wälzer nicht gelesen hat. Aber die Grundzüge des Projektes sind in der amerikanischen Öffentlichkeit publik gemacht worden und sie entsprechen den von Trump öffentlich deklarierten MAGA-Zielen.
Die protektionistische
und im Inneren neoliberale Wirtschaftspolitik beruht auf unsicheren
Annahmen und es ist keineswegs ausgemacht,
dass sie zum Wohle des „normalen“ Bürgers ausschlagen wird. Sicher ist aber
eins: sie wird klimaschädliche Industrien, IT-Konzerne, die Tech-Branche, die Waffenindustrie. die
Finanzmärkte, die Milliardäre und auch sonst die Reichen begünstigen. Das „Establishment“ der „Demokraten“ gegen das
Trump wettert, wird durch die Oligarchie der Trump nahen Superreichen und der
republikanischen Spitzenpolitiker ersetzt werden. Die Beinflussung der US-Politik durch Lobby-Gruppen wird sich nicht verändern, nur die Schwerpunkte werden sich verschieben.
Eine radikale isolationistisch-nationalistische Orientierung der Wirtschafts- und Außenpolitik wird weltweit zu Unsicherheiten und Turbulenzen führen.
Es ist zweifelhaft, ob das Geschäftsprinzip des „Deal-making“, das Trump in die Außenpolitik überträgen will, langfristige Diplomatie und Politik-Strategie ersetzen kann.
Es mag sein, dass ein Teil derer, die Trump und seine Politik gewählt haben, dies aus Ignoranz und mangelnder Reflexion getan hat, aber viele Aussagen betätigen den Eindruck, dass ein großer Teil der Wähler wusste, welchen Positionen sie zustimmen.
Trump stützt sich auf amerikanische Traditionen – auch belastete
Schauen wir uns genau an, was die Motive der Trump-Wähler sind.
Zunächst einmal ist zu sagen, dass Trump und der Trumpismus keineswegs für die USA ein einmaliges und überraschendes Phänomen ist. Der Trumpismus greift auf bestimmte Traditionen in der USA-Geschichte zurück.
Das Schlagwort unter dem Trump seine gesamte Regierungspolitik schon in seiner ersten Amtsperiode stellte, ist „America first“. Dies umfasst eine „Amerika-zuerst-Außenpolitik“ und einen „Amerika-zuerst-Energie- und Wirtschaftsplan“.
Trump bezeichnete seinen Slogan zwar als „brand-neu“, aber er ist nur eine Abwandlung einer Traditionslinie, die auf den Exzeptionalismus und Isolationalismus der Gründerväter und der ersten Präsidenten Amerikas zurückgeht.
Unter den Gründern der Nation entstand die Vorstellung, dass Amerika eine besondere, von Gott bestimmte Rolle und Mission unter den anderen Nationen habe. Der Puritaner John Winthrop, Gouverneur der Massachusetts Bay Colony, schärfte 1630 in einer Predigt den Siedlern unter Bezug auf Mt. 5,14 ein: „Wir müssen davon ausgehen, dass wir wie eine Stadt auf einem Hügel (City upon a hill) sein sollen. Die Blicke aller Menschen richten sich auf uns.“ Das ist der Weg zu der Auffassung, die USA seien „God´s own Country“. Bei den Gründervätern ist dabei auch eine Abwendung von den europäischen Mutterländern mitgemeint.
Dieser Gründungsmythos von der Auserwähltheit und der Mission der amerikanischen Nation prägt in verschiedener Brechung das Nationalbewusstsein der USA. Er wird immer wieder beschworen, so in einer Rede von John F. Kennedy am 09.01.1961 oder von Ronald Reagan in einer Botschaft an die Nation am 11.01.1989.
Einerseits begründet das einen amerikanischen Universalismus bis hin zum Imperialismus. Andererseits resultiert aus diesem Auserwähltheitsmythos auch der amerikanische Partikularismus oder Unilateralismus. Der Partikularismus befürwortet die Selbstgenügsamkeit, die Absonderung von der Welt, der Unilateralismus räumt den USA einen Vorrang vor allen anderen Nationen ein. Die amerikanische Außenpolititik ist bis heute vom Hin und Her zwischen Absonderung und missionarischem Drang geprägt.
Trump spricht ohne Zweifel diese Tradition des Exzeptionalismus und des eventuell daraus resultierenden Isolationismus an, wobei er die unilateristische Linie hervorhebt - ohne auf Hegemonieansprüche der USA für die Welt zu verzichten, die auch aus diesen Wurzeln stammen. „Make America great again“ (MAGA) nährt sich ebenfalls aus der Vision der leuchtenden „[Gottes-]Stadt auf dem Hügel“.
Eine besondere Zuspitzung erfährt diese „uramerikanische“ Traditionslinie dadurch, dass Trump sich als „Messias“ ausgibt, der die Erfüllung dieser Vision verspricht. Wen wundert es, dass Evangelikale ihm zujubeln und seine Schwächen übersehen. Schließlich sind die Frommen dazu verdammt, in einer unvollkommenen Welt und im Angesicht der Sünde zu leben. Ein gottgesandter Heilsbringer muss nicht perfekt sein und kann mit der Vergebung seiner Sünden durch die höchste und letzte Instanz rechnen.
Es ließen sich noch andere amerikanische Traditionslinien finden, die Trump anspricht, wie das traditionelle Familien- und Frauenbild, das die puritanischen Gründungsväter mitbrachten und das in konservativen und evangelikalen Kreisen weiterüberliefert wird.
Auch sonst haben sich puritanische Prinzipien in säkularer Weise erhalten und sind zu traditionell amerikanischen Werten geworden, z.B. die Betonung individueller Freiheit, des Selbstvertrauens und des äußeren Erfolgs oder das Streben nach materiellem Reichtum, der durch harte Arbeit erreicht wird. Der calvinistische Grundsatz, dass Gott mit den Tüchtigen ist, setzt sich säkular im heute sehr brüchig gewordenen „Amerikanischen Traum“ fort, der besagt, dass „im Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ein „Tellerwäscher zum Millionär“ werden kann. Trump versteht es, sich als erfolgreicher Vertreter dieser den amerikanischen Kapitalismus begründenden und erhaltenden Werte und Haltungen zu präsentieren. Offenbar nehmen ihm das auch viele ab, obwohl bei näherem Zusehen an seiner Erfolgsbilanz als Geschäftsmann Zweifel aufkommen können.
Ein weitere Traditionslinie, die Trump bedient, ist die die amerikanische Geschichte von Anfang an durchziehende Diskriminierung der nicht aus Europa eingewanderten Ethnien und die Abneigung gegen „unamerikanische“ Minderheiten.
In der amerikanischen Verfassung von 1787 ist die Gleichheit der „People of the United States“ angelegt. Das galt aber nur für wohlhabende Weiße; afrikanische Sklaven und Indigene waren ausgeschlossen. Auch hier tut sich ein Antagonismus auf, der zum Amerikanischen Bürgerkrieg (1861 - 1865) führte, aber bis heute weiter lebt.
Zwar heißt es im 1868 zugefügten „Amendment XIV“ der „Bill of Rights“ – sie haben Verfassungsrang:
„Alle in den Vereinigten Staaten geborenen oder eingebürgerten Personen, die der dortigen Gerichtsbarkeit unterliegen, sind Staatsbürger der Vereinigten Staaten und des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Kein Staat darf ein Gesetz erlassen oder durchsetzen, das die Vorrechte oder Immunitäten der Bürger der Vereinigten Staaten einschränkt. Auch darf kein Staat einer Person ohne ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren das Leben, die Freiheit oder das Eigentum entziehen (deprive any person of life, liberty, or property) oder einer Person in ihrem Zuständigkeitsbereich den gleichen Schutz durch die Gesetze verweigern.“
Trotzdem wurde in den Südstaaten die Rassentrennung auf Grund der Einzelstaatenrechte bis 1954 nach dem heuchlerischen Prinzip „Getrennt, aber gleich“ praktiziert. Die unter der Präsidentschaft Lyndon B. Johnsons entstandene Gesetzgebung, die Afroamerikanern Gleichberechtigung verschaffen sollte, hat in der Praxis wenig verändert. Rassendiskriminierung ist nach wie vor ein essentieller Bestandteil der weißen amerikanischen Gesellschaft und der von ihr beherrschten Institutionen, wie etwa der Polizei.
Trump nahm die latenten oder offensichtlichen Aversionen gegen Afroamerikaner in Teilen der weißen Gesellschaft auf, wenn er sich gegen die antirassistische Bürgerrechts- und „Black Lives Matter“-Bewegungen wandte.
Für Gerechtigkeit und Diversität eintretende Bürger, Politiker und Demonstranten bezeichnete er unterschiedslos in seiner Rede zum Unabhängigkeitstage 2020 als „linksradikale“ Faschisten, die die amerikanische Gesellschaft und ihre traditionellen Werte zerstören wollten: "Unsere Nation erlebt eine gnadenlose Kampagne zur Auslöschung unserer Geschichte, zur Diffamierung unserer Helden, zur Ausradierung unserer Werte und zur Indoktrinierung unserer Kinder."
Dabei nutzt Tump die seit dem „Kalten Krieg“ und der McCarthy Ära unter Amerikanern verbreitete Feindbild des Kommunismus.
Diese Rede ist ein Beispiel dafür, wie Trump patriotische Gefühle aufnimmt und gegen seine Gegner wendet.
Auch im Demokratieverständnis knüpfen Trump und die Republikaner an amerikanische Traditionen an – die „Republikaner“ nehmen durchaus wie die „Demokraten“ für sich in Anspruch demokratisch ausgerichtet zu sein.
Die amerikanische Verfassung betont die Freiheit des Einzelnen und die Volkssouveränität. Das hat mit der Ablehnung von den im 18. Jahrhundert in Europa herrschenden monarchisch-autoritären Regierungsformen zu tun. Dass die Betonung des Volkes als Souverän nicht zu einer plebiszären Staatsform führt, wird durch Gewaltenteilung und repräsentative Einrichtungen verhindert. Trotzdem lässt sich aus diesen Voraussetzungen eine populistische Auffassung von Demokratie ableiten, die staatlichen Eingriffen und Regulierungen misstrauisch gegenübersteht. Trump und der Trumpismus der Republikaner nehmen das auf. Trump versteht sich als eine Art Volkstribun, der für sich in Anspruch nimmt, die Stimme und die Stimmung des Volks zu vertreten.
Tatsächlich ist in der unteren Mittel- und Unterschicht der USA eine große Unzufriedenheit mit der Biden-Regierung und dem Establishment der Demokraten zu bemerken. Man wirft ihnen – mit gewissem Recht - Anhäufung von Reichtum, Interessenwirtschaft, elitäres Verhalten und Verachtung des Volkes vor. Die Bezeichnung Hillary Clintons „Deplorables“ über die gesellschaftlich Abgehängten und Bidens „Garbage“-Bemerkung über Trump-Anhänger bleibt unvergessen.
Weshalb sie Trump oder Harris gewählt haben - Befragungen zum Wahlverhalten der Amerikaner
In einer in der „New York Times“ am 25/10/24 veröffentlichten USA-übergreifenden repräsentativen Vorwahl-Umfrage zum Wahlverhalten, erklären 57% der Befragten ihre völlige Missbilligung (disaprove) des „Weges wie Biden seinen Job macht“. 45% billigen diesen Weg. (Nach einer anderen Befragung - die ich später zitiere - liegt die Zustimmung zu Biden bei denen, die Harris gewählt haben, fast bei 100%). Am höchsten ist die Missbilligung bei den „Black“ und „Hispanic“ und bei den „Non White“ ohne College-Abschluss. 95% unter den Biden-Ablehnern bekunden, Trump wählen zu wollen.
62% der Befragten stimmen der Aussage zu: „Die Regierung arbeitet hauptsächlich, um sich selbst und den Eliten zu nützen.“ Da sind sich die „Weißen“ und die „Schwarzen“ einig, wobei die Zustimmung bei den „White no college“ am höchsten ist. 51% meinen, das „politische und ökonomische System in America“ bedarf „größerer Änderungen“, wobei dies vor allem bei den Schwarzen hohe Zustimmung findet.
49% sehen übrigens die Leute (people) gut vertreten durch die amerikanische Demokratie, aber 79% empfinden sie als gegenwärtig bedroht, wobei dem mehr oder weniger alle Bevölkerungsteile zustimmen. Aber nur 21% sehen in Trump hierfür eine Bedrohung. 41% halten ihn „gut für die Demokratie“, wobei dies vor allem die Weißen und diejenigen ohne College-Abschluss tun, aber nur 6% der Schwarzen. 47% halten Trump „schlecht für die Demokratie“. Für europäische Augen erstaunlich: 40% sehen Harris als für die Demokratie schlecht an.
Noch etwas zu der in europäischen Medien viel berufenen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. Amerikaner empfinden dies offenbar nicht so krass. Jeweils 45% meinen, sowohl die „Republikaner“ als auch die „Demokraten“ seien „gut für die Demokratie“. 77% der Nicht-Trump-Unterstützer halten Trump-Unterstützer für „Mitamerikaner („fellows“), mit denen sie politisch nicht einverstanden sind“, 16% sehen in ihnen „Feinde“. 84% der der Nicht-Harris-Unterstützer betrachten die Harris-Unterstützer als „Fellows“ anderer politischer Meinung und 11% stehen ihnen feindlich gegenüber.
Insgesamt ergibt sich aus der umfangreichen, hier nur selektiv berücksichtigten Befragung ein weitaus differenzierteres Bild vom Wahlverhalten und politischem Meinungsspektrum der Amerikaner als dies in Europa meist wahrgenommen wurde.
Man sollte auch nicht übersehen, dass die Wähler nur mit knapper Mehrheit für Trump (bzw seine "Wahlleute") gestimmt haben ("Popular vote" / Trump: 49.9%, Harris: 48,4%). Das ist kein so überwätigender Sieg, wie es das Wahlergebnis des "Electoral College" (die Gesamtheit der "Wahlleute" der Bundesstaaten) erscheinen lässt (312 zu 225 Stimmen). Nicht die Wähler, sondern das US-amerikanische "Wahlleute"-System haben ihm das "beispiellose und kraftvolle Mandat" (so Trump in der Wahlnacht) beschert - so wie dieses System auch schon 2016 zum Sieg Trumps geführt hatte.
Das amerikanische Wahlleute-System lässt keine Differenzierung zu. Es beruht auf den Prinzip: „The winner takes it all“. Die große Zahl derer, die gegen Trump gestimmt haben, aber auch Differenzierungen, warum Wähler gegen oder für Trump gestimmt haben, verschwinden so hinter dem bloßen Endergebnis.
Themen, die Trump-Wähler bewegen
Dass Trump und der Trumpismus traditionelle amerikanische Werte und Haltungen - auch belastete - vertreten und ansprechen, kann allerdings nur einen Teil ihres Erfolgs plausibel machen. Schließlich haben Afroamerikaner, Latinos und Indigene mit Recht Schwierigkeiten mit diesen Traditionen. Hier müssen andere Faktoren eine Rolle spielen.
Europäische
Kommentatoren haben vor allem wirtschaftliche Gründe für den Sieg Trumps ausgemacht:
„It´s the Economy, stupid“ (James Carville/Bill Clinton 1992). Tatsächlich ist
die Schere zwischen Reichen und Armen in den USA immens und nimmt immer mehr
zu. Zwar lief die Wirtschaft unter Biden gut, Reallöhne stiegen und die
Inflationsrate sank, aber viele Amerikaner sind nicht zufrieden mit dem Gang
der Wirtschaft und lasten dies der Biden-Regierung an. Ihrem Gefühl nach ging
es ihnen unter Trumps Regierung besser, was wahrscheinlich mit den massiven überparteilich
im Kongress zustandegekommenen ersten Unterstützungen während der Corona-Pandemie
zusammenhängt. Schnell vergessen wurde offenbar, dass Trumps Führungsversagen
in der Bekämpfung der Pandemie zu enormen Todeszahlen, hoher Arbeitslosigkeit
und wirtschaftlichen Zusammenbrüchen führte. Vergesssen wird wohl auch. dass unter Bidens Präsidentschaft 2021 ein umfassendes Pandemie-Rettungspaket, der American Rescue Plan Act, im Kongress verabschiedet wurde, ohne Unterstützung der Republikaner. Nicht honoriert wurden offensichtlich auch die Bemühungen der Biden-Administration um die Eindämmung der Inflation und die Senkung der Lebenshaltungskosten durch den Inflation Redaction Act 2022, auch gegen die Stimmen der Republikaner verabschiedet. Bei diesen Gesetzgebungsverfahren hat Harris als Vizepräsidentin im Senat eine ausschlaggebende Rolle gespielt ("Tie-breaking vote").
Nach einer von NBC News am 15/11/24 veröffentlichten Befragung in 10 „Schlüssel- Staaten“ sind 68% der Befragten und 70% der Trump-Wähler unzufrieden mit dem „Zustand der Wirtschaft der Nation“. 46% meinen, im Vergleich zu vor vier Jahren sei die finanzielle Situation ihrer Familie schlechter geworden, darunter 81% der Trump-Wähler. Die Harris-Wähler geben übrigens zu 82% an, diese Situation habe sich für sie verbessert. Die Inflation bedeutet für 22% insgesamt und für 74% der Trump-Wähler „eine schwere Härte“. An der Unzufriedenheit sind vor allem die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten schuld, die besonders Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen überfordern, junge Menschen, Schwarze, Latinos, Arbeitslose …
Die Mittelklasse, wozu in den USA auch Arbeiter gehören, vor allem die untere Mittelschicht, sieht sich durch den Rückgang traditioneller Produktions- und Arbeitszweige durch die Auslagerung in Billig-Staaten und das Aufkommen neuer Technologiebranchen, an denen sie nicht partizipieren, vom Abstieg bedroht. Diese Menschen hatten zu Zeiten der florierenden Wirtschaftszweige, in denen sie beschäftigt waren, einen hohen Lebensstandard, der seit längerem weggebrochen oder reduziert ist.
Hier werden vor allem die Beschäftigten in den Staaten des „Rust Belt“ an den großen Seen genannt, die in der Kohle-, Stahl- und Kraftfahrzeugindustrie tätig waren, Industrien, die von einem rapiden Niedergang und andauernden Regierungsversäumnissen betroffen sind. In diesen Staaten ist viel soziales Elend und infrastrukturelle Verödung entstanden: verfallene Fabrikhallen und Städte, Arbeitslosigkeit, Prekarität, Drogenkonsum, Kriminalität … Die Leute dieser Regionen wählten traditionell „Demokraten“, aber bei der letzten Wahl haben die „Swing states“ - die nicht von vorneherein entschiedenen Staaten im Nordwesten der USA - überwiegend für Trump und die Republikaner votiert, wenn auch meist knapp.
Man muss auch hier differenzieren. Michigan hat mit 49,6% für Trump und 48,2% für Harris gestimmt. Die bevölkerungsreichste Stadt, Detroit, mit ihren Suburbs, Zentrum der amerikanischen Auto-Industrie, hat aber „überwältigend“ für Harris gestimmt. Lediglich im ländlich bestimmtem Macomb County des Detroit-Districts fand Trump eine Mehrheit.
Dass bei den gesellschaftlich und wirtschaftlich „Abgehängten“ oder vom Abstieg Bedrohten Enttäuschung, wenn nicht Wut entsteht, ist nicht verwunderlich. Aber es scheint ein über diese Menschen hinaus gehendes Klima der Unzufriedenheit zu geben. Auf die Frage „How do you feel about the way things are going in the country today?“ antworten 42% der Harris-Wähler und 56% der Trump-Wähler mit „dissatisfied“, 12% insgesamt und 72% der Trump-Wähler bezeichnen ihre Stimmung als „angry“ (NBC News).
Wie ist das nun mit der „Wirtschaft“ als Thema, das zur Wahlentscheidung führte? Tatsächlich steht „Economy“ unter den die Wähler beschäftigenden Themen weit oben, aber nur mit 32%, wobei das für Trump-Wähler mit 80% zutrifft. Bei den Befragten in der weitaus repräsentativeren Umfrage der “New York Times“ steht das Thema an erster Stelle, aber hier mit 27%, bei den Weißen mit 29%, bei den Schwarzen mit 12%, bei den Latinos mit 28%. Von denen, die das Thema in der Vorwahlbefragung in den Vordergrund stellten, wollten 42% Trump wählen. 93% derer, die Trump gewählt haben, trauen ihm zu, die Wirtschaft besser zu handhaben als Harris; 66% geben an, ihn wegen seiner „Führungsfähigkeit“ gewählt zu haben. Dementsprechend sind 95% der Trump-Wähler „begeistert oder optimistisch“, wenn Trump Präsident wird (dagegen sind 92% der Harris-Wähler besorgt oder verängstigt).
Aber aus den Statistiken ist auch ersichtlich, dass es Schichten gibt, die von der bisherigen Wirtschaftspolitik profitieren und sich ihren Wohlstand erhalten oder gar verbessern konnten. Das betrifft nicht nur die Superreichen, sondern auch andere, die vermutlich zu den gut ausgebildeten Mitgliedern der „Upper middleclass“ gehören. (Sie stellten vor allen die Harris-Wähler.) Immerhin bezeichnen 31% der Befragten und 91% der Harris-Wähler in der Umfrage in den „NBC News“ die „Lage der nationalen Wirtschaft“ als „exzellent“ oder „gut“. Dies entspricht auch den Einkommensverhältnissen der Harris-Wähler, bei denen mehr als die Hälfte ein Familieneinkommen hat, das weit über dem Durchschnitt liegt.
Das Fazit ist, dass bei den Trump-Wählern tatsächlich der Wunsch nach einer Stärkung der Wirtschaft und der Verbesserung ihrer finanziellen Situation eine große Rolle spielt. Das war allerdings nicht das alleinige Motiv, Trump wählen zu wollen. An zweiter Stelle sind für alle Befragten die Themen „Immigration“ und „Abtreibung“ mit jeweils 15% wichtig. Im Blick auf die Immigration wollten nach der „New York Times“-Befragung 28% für Trump votieren. In der „NBC News“-Umfrage haben 90% der Trump-Wähler dieses Thema als Hauptgrund für ihre Wahl angegeben.
„Kulturelle“ Themen wie die Abtreibungsfrage spielen für die Trump-Wähler – im Gegensatz zu den Harris-Wählern – eine geringere Rolle. Wie zu erwarten nehmen Trump-Unterstützer hier konservative Positionen ein. Die Abtreibungsdiskussion hat vor allem die Evangelikalen zu Trump geführt, 22 % der Bevölkerung bekennen sich zu dieser Glaubensrichtung. Aber auch für Katholiken war das ein Grund für Trump zu stimmen.
Die Außenpolitik der USA spielte für die Wahlentscheidung nur eine ganz geringe Rolle.
Interessant (und für mich bestürzend) ist, dass der Klimawandel mit 1% für die Wahlentscheidung der Amerikaner keine Rolle spielt.
Offenbar
konnte Trump mit seinen eingängigen und alle betreffenden Themen: „Wirtschaft (stärken), Immigration (stoppen), Abtreibung (liberale Gesetzgebung verhindern)" und seinen einfachen
Lösungsrezepten besser punkten als Harris mit ihren Botschaften an bestimmte
Gruppen und ihrem Eintreten für mehr Gerechtigkeit für diese und das
Abtreibungsrecht. Insgesamt nachteilig war offenbar auch die Hervorhebung von Verbesserungen für die Mittelklasse und eine Vernachlässigung der Sorgen der Arbeiterklasse.
Wer hat Trump gewählt?
Nach der „NBC News“-Befragung sind es überwiegend Weiße, die ja auch die Mehrheit in der Bevölkerung bilden. Unter ihnen sind die Männer (55%) in der Überzahl, insbesondere diejenigen mittleren Alters (45-65: 54%), sie sind meist ohne College-Besuch (63%), fühlen sich als Republikaner und Konservative, sind vergangenheitsorientiert, haben zu 50% ein Einkommen unter dem US-Durchschnitt, gehören evangelischen Denominationen an, haben Familie und Kinder, leben zu 64% auf dem Lande und waren zu 65% bei der Army.
Weiße Frauen
haben Trump weniger als die Männer gewählt, zu 53%. Auch hier sind es vor allem die Frauen ohne College-Abschluss, die für Trump stimmten (zu 62%).
Trump-Wähler neigen dazu, ihre “Informationen“ zur Wahl und den Kandidaten aus dem Freundes- und Familienkreis zu beziehen. Auf diese Weise hat möglicherweise „ein Großteil der negativen und kritischen Berichterstattung über ihn Menschen einfach nie erreicht“ (Zitat siehe Link oben).
Die zweite Gruppe der Trump-Wähler bilden Hispanics/Latinos, die Trump zu 56% gewählt haben, wobei aber 52% für Harris stimmten. Sie bilden eine Minderheit in der Bevölkerung, aber immerhin sind sie mit nahezu 20% der Bevölkerung die größte ethnische Minderheit in den USA. Unter den Befragten stellen sie aber nur 12% (was wohl dem Anteil der Wahlberechtigten entspricht). Hier haben überwiegend die Männer für Trump votiert (58%), die Frauen deutlich weniger (38%). Dass die Männer Trump schätzen, könnte mit seinem Machismo und dem Katholizismus der Gruppe zusammenhängen (Ablehnung einer Frau als Präsidentin und der Abtreibungsfreigabe), hier fehlen aber Befragungsunterlagen. Wahrscheinlich spielt bei den Hispanics auch Trumps Position in der Migrantenfrage eine Rolle: etablierte Eingewanderte fürchten die Konkurrenz neu Zugewanderter.
Die nächste Gruppe sind die Asiaten, die zu 39% Trump, zu 54% Harris gewählt haben. Sie stellen in der Bevölkerung und in der Befragung eine kleine, aber zunehmende Minderheit dar (3% in der Befragung).
Nicht erwartet habe ich, dass die „American Indians“ für Trump zu 65 % gestimmt haben. In der Befragung bilden sie 1%. Aber auch sie werden wohl Trump die Schaffung besserer wirtschaftlicher Verhältnisse zugetraut haben.
Schwarze (11% der Befragten) haben Trump nur
zu 13% gewählt, Harris dagegen zu 85%. Schwarze Männer haben aber eher für Trump
als schwarze Frauen votiert (21% bzw. 7%). Auch hier mag Trumps Machismus eine
Rolle gespielt haben.
Aber warum sollte die verbreitete Unzufriedenheit mit den Verhältnissen vor den Minderheiten Halt gemacht haben und nicht auch unter ihnen eine Aufnahmebereitschaft für trumpsche Positionen geschaffen haben? Es ist ja nicht mehr so, dass die Zugehörigkeit zu einer sozialen oder ethnischen Gruppe verpflichtend oder konstant mit der Hinneigung zu einer bestimmten Ideologie oder Partei verbunden sein müsste. Wahlverhalten ist in den Gesellschaften, wo Wahlfreiheit herrscht, sehr veränderlich geworden und nur noch bei wenigen festgelegt.
Viele Faktoren spielen eine Rolle
Was zu seinem Sieg Trumps führte, lässt sich nicht monokausal erklären. Es ist ein ganzes Bündel an Faktoren, die eine Rolle spielten.
Amerikanische Traditionen, Einstellungen und Verhaltensweisen sind ein Einflussbereich. Nicht zu übersehen sind geschlechtsspezifische Unterschiede im Wahlverhalten.
Es gibt aber „handfestere“ soziale und politische Aspekte:
- ein
krisenanfälliges Wirtschafts- und Finanzsystem;
- eine Regierungs- und Wirtschaftspolitik, die die Reichen und gut Ausgebildeten begünstigt;
- wirtschaftliche und gesellschaftliche Benachteiligung der Arbeiter- und Unterklasse, die in den USA mehr als 50% der Bevölkerung ausmachen (das sind überwiegend Weiße, aber auch ethnischer Minderheiten);
- Vermeintliche oder reale Regierungsversäumnisse verschiedenster Art, die Unzufriedenheit hervorrufen;
- unzureichende soziale und gesundheitliche Absicherung durch staatliche Einrichtungen;
- Bildungsdefizite, die aus sozialen Einschränkungen, mangelnder Effektivität schulischen Unterrichts und hohen Kosten resultieren (z. B. des College-Hochschulabschlusses, der in den USA für viele Berufstätigkeiten Voraussetzung ist);
- ein verbreiteter Konservatismus, der sich von freizügigen Lebensstilen überfordert fühlt (90% der Trump-Wähler bekennen sich zum Konservatismus); eine republikanische Partei, die immer mehr nach rechts gerückt ist und nun vom „Trumpismus“ beherrscht wird;
- die starke Zunahme der Zahl von meist mittellosen und schutzsuchenden Einwanderern (2023), die bei den im Lande Befindlichen Befürchtungen auslösen - die meisten Immigranten halten sich übrigens legal in den USA auf (77%);
- Widerstände gegen eine „universalistische“ Außen- und Militärpolitik, die enorme Summen verschlingt;
- schließlich dürfte auch ein massiver Input der Werbung - teilweise mit Falschinformationen - für Trump in bestimmten Social Media (u.a. in X) die Wahl Trumps begünstigt haben.
Trotz aller dieser Gründe, die Wähler zu Trump führten: es bleibt immer noch schwer verständlich, wie so viele Amerikaner und Amerikanerinnen auf einen Mann hoffen und vertrauen können, von dem man - auch nicht ohne Gründe - sagen kann, dass er „nicht weiß, wie man regiert, und eine gute Regierung ist [doch] die einzige Garantie gegen die Rückkehr der schlimmsten Form der Politik“, nämlich des Faschismus – so David Runciman (Politikprofessor in Cambridge) in „The Observer“ 21/09/24. Das kann man auch auf das „Gruselkabinett“ beziehen, das Trump derzeit zusammenstellt. Runcimans drastisches Urteil über Trump lautet: „In the end, he is too much of a cynical asshole“.
Vielleicht
ist es doch so, dass ein Großteil der US-Amerikaner die Wahl ihres Präsidenten einfach
pragmatischer und „unbekümmerter“ getroffen hat, als die meisten Europäer dies getan
hätten.
Vieles von dem, was zu Trump und zum Trumpismus führt, ist auf amerikanischem Boden gewachsen. So ist die Wahl Trumps eine Sache, die die Amerikaner unter sich entschieden haben und mit den Folgen müssen in erster Linie sie selbst klar kommen. Was aber viele wohl nicht bedacht haben, ist, dass Trumps Politik sich nicht nur auf die USA, sondern auf die ganze Welt auswirken wird. Da liegt nach wie vor eine große Verantwortung auf den USA, die mehr als die Berücksichtigung nationaler Interessen erfordert.
Es ist im einzelnen noch nicht abzusehen, wie die Regierungspolitik Trumps aussehen wird. Für Europa ist aber eines sicher: es gilt von bisherigen Gewissheiten im Verhältnis zu den USA Abschied zu nehmen.
Was Europa aus dem Trump-Sieg lernen sollte
Trump und der Trumpismus sind nicht nur ein US-amerikanisches Phänomen, sondern bilden globale Veränderungen und Tendenzen ab. Die „liberale Weltordnung“ unter der Hegemonie der USA ist am Zerbrechen, die Staats- und Gesellschaftsform der parlamentarischen Demokratie verliert weltweit an Attraktivität, populistische Parolen und ihre Vertreter finden zunehmend Beifall.
Nicht wenige der Entwicklungen und Trends in der USA lassen sich auch in europäischen Gesellschaften beobachten. Nicht alles an Problemen und Themen, die US-Amerikaner bewegen, betrifft uns in Europa, aber Gemeinsamkeiten sind unübersehbar: wirtschaftliche Krisen, das soziale Gefälle zwischen Arm und Reich, Umgang mit Migranten, abgehobene und lobbyismusanfällige politische Kasten, ein Klima der Unzufriedenheit mit politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen …
Wenn europäische Demokraten und Politiker verhindern wollen, dass populistisch-demokratiefeindliche Autokraten und Bewegungen an die Macht kommen, dann lässt sich aus den amerikanischen Verhältnissen und dem „Schaustück“ Trump lernen. In erster Linie müsste dafür gesorgt werden, dass in Europa die Schere zwischen Reich und Arm zurückgeht und befriedigende Lebensverhältnisse für alle geschaffen werden. Die Aufgabe von vom Volkssouverän gewählter Politiker ist, sich vor allem am Gemeinwohl zu orientieren, nicht an Partei- und Gruppeninteressen. Und nicht zuletzt gehört es zu ihrer Aufgabe, die Stimmen und Stimmungen im Volk wahrzunehmen und darauf nicht populistisch, aber sachgemäß, an den Notwendigkeiten orientiert, zu reagieren.
Zum Abschluss ein bisschen Humor (der zumindest für Katalonien gilt, wo ich lebe). Das katalanische Online-Magazin CRÓNICA meldet:
Das Trump-Phänomen erreicht Katalonien - die Verkäufe seiner "Caganers" schießen am Vorabend der US-Wahlen sprunghaft in die Höhe. (Der Caganer ist die in Katalonien traditionelle Krippenfigur eines "Scheißerchens" - oft in der Gestalt eines Politikers.) Der Caganer der Trump-Rivalin Harris wurde dagegen viel weniger verkauft. Die meisten Käufe kamen aus den USA.
Auch eine Art von Wahlvoraussage - zutreffend und besser als die Prognosen der meisten US-Meinungsforschungsunternehmen! (Vielleicht sollte man vor der Wahl des deutschen Bundeskanzlers auf entsprechende Caganer-Verkäufe achten! - Für Scholz existiert schon ein Caganer.)
D. Trump und sein Caganer |
K. Harris und ihr Caganer
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