Bundestagswahl 2025: Nur die AfD kann Deutschland retten? Wirklich? – Eine Prüfung ihres Parteiprogramms
In Deutschland sind viele unzufrieden ...
Unzufrieden mit den der bisherigen Arbeit der traditionellen Parteien SPD, CDU, FDP, aber auch der Grünen. Vor allem die Unzufriedenheit mit der Politik der Ampel-Regierung ist hoch. Hinzu kommen Ängste vor Krieg, wirtschaftlicher Rezession und Inflation. Nicht wenige bewerten ihre wirtschaftliche Situation als wenig gut oder schlecht und befürchten eine weitere Verschlechterung. Oft wird wird die Ursache für zunehmende Verarmung in der Unterstützung von Migranten gesehen. Auch fühlt sich ein sicher nicht geringer Teil der Bevölkerung durch den Zustrom von Migranten überfordert und in seiner Sicherheit bedroht.
Die AfD nimmt diese Unzufriedenheit und Sorgen auf und bietet Lösungsvorschläge an. Damit hat sie bei einem Teil der Wähler Erfolg. Derzeit würden nach Umfragen mehr als 21% diese Partei bei den Bundestagswahlen wählen. In den Beitrittsgebieten dürfte die Zustimmung weit höher liegen und wenn diese Gebiete selbständig wären, würde wahrscheinlich die Kandidatin der AfD, Alice Weidel, demokratisch legitimiert als Bundeskanzlerin an die Macht kommen.
Vorerst ist es nicht zu erwarten, dass die AfD in ganz Deutschland einen so großen Teil der Wähler gewinnt, dass sie die Regierung stellen kann oder an der Regierung beteiligt wird. Aber auf die Dauer ist das nicht ausgeschlossen. Ist es realistisch, dass sie Deutschland „retten“ oder wenigstens die anstehenden Probleme zum Wohle Deutschlands und seiner Bevölkerung zufriedenstellend lösen kann?
Stellen wir uns einmal vor, die AfD mit ihrer Bundeskanzlerin Weidel würde die Regierung stellen und daran gehen, ihre im Parteiprogramm 2025 vorgestellten Ziele zu verwirklichen.
Nehmen wir die wichtigsten Vorschläge der AfD in den Blick.
Bei der Lektüre des ansprechend abgefassten „Programms für Deutschland“ der AfD findet man sinnvolle Einzelvorschläge. Man muss aber auf die zentralen Aussagen achten, die sich oft unter blumigen und Kompromisse versprechenden Umschreibungen verbergen. Diese zentralen Grundaussagen werden die Politik der Partei bestimmen.
Wirtschaft:
„In ihrem Programmentwurf spricht sich die AfD für Deregulierung, niedrigere Steuern für Unternehmen und die Abschaffung von Umweltauflagen aus. Auch das Lieferkettengesetz, welches weltweit für faire Arbeitsbedingungen an Produktionsstandorten sorgen soll, möchte die AfD streichen. Die deutsche Wirtschaft soll durch freies Unternehmertum und mithilfe der Automobilindustrie als Leitindustrie einen Schub erfahren.“ (Zusammenfassungen ipb)
Beurteilung:
Diese Vorschläge würden sicher das Wachstum der traditionellen Wirtschaftsbereiche fördern. Es wäre ein weiterer Schritt zur Stärkung kapitalistischer Wirtschaftsformen und Methoden. Damit würden aber auch regulierende und begrenzende Eingriffe zugunsten sozialer und ethischer Erfordernisse, zur Vermeidung von Umwelt- und Klimaschäden verschwinden oder minimiert werden. Der für die Zukunft wünschenswerte und bereits eingesetzte Umbau der Wirtschaft zu nachhaltigem Wirtschaften würde zum Erliegen kommen. Für den „normalen“ Arbeitnehmer dürfte die „Deregulierung“ und die „freie Hand“ der Unternehmer weniger Sicherheit und Nachteile bringen. Wirtschaft und Unternehmer würden die Politik mit ihren Interessen dominieren.
Auf die Dauer kann die Automobilindustrie nicht „Leitindustrie“ bleiben, sondern ihr müssen andere Wirtschaftszweige (Dienstleistungen, High-Tec, Digitalisierung u.a.) zur Seite treten, wenn die deutsche Wirtschaft konkurrenzfähig bleiben will. Auch mit der im AfD-Programm geforderten Beibehaltung des Verbrennermotors fällt die Automobilindustrie in ihrer Konkurrenzfähigkeit mit den Entwicklungen in der internationalen Automobilbranche zurück.
Die deutsche Automobilindustrie ist auf den Export angewiesen und kann nicht allein vom deutschen Markt leben. Da hilft es auch nicht, wenn dem (ohnehin an die Grenzen gekommenen und klimaschädlichen) motorisierten Individualverkehr höchste Priorität eingeräumt und der Straßenneubau gefördert werden soll.
Steuern:
„Die AfD plant laut Programmentwurf eine Vereinfachung des Steuerrechts. Die Einkommenssteuer möchte sie mittels eines höheren Grundfreibetrages senken. Auch die Unternehmensbesteuerung soll niedriger werden. Zugleich deutet die AfD den Abbau von Sozialleistungen an.“
Beurteilung:
Tatsächlich liegt die Steuer- und Abgabenquote bei höheren Einkommen und bei der Wirtschaft in Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld, ist also relativ hoch. So liegt ein gewisser Anreiz darin, dass Reiche und Unternehmen in Niedrigsteuerländer abwandern. Ein Entlastung mittlerer Einkommen und Unternehmen ist also durchaus sinnvoll, wobei man aber bei Firmen verlangen kann, dass die „Ersparnisse“ dem Unternehmen zugute kommen, nicht den Eigentümern bzw. Aktionären. Dass überdurchschnittliche Einkommen höher besteuert werden als geringe ist aus sozialen Gründen vertretbar. Die Schere zwischen Reich und Arm, Einkommensstark und -schwächer in Deutschland klafft weit auseinander, einige wenige besitzen den größten Teil des Volksvermögens. In dieser Hinsicht nimmt Deutschland europaweit eine Spitzenstellung ein. Von denen, die im Überfluss leben, kann man durchaus verlangen, dass sie von ihrem Reichtum abgeben, zumal ein großer Teil von ihnen zu ihrem Reichtum nicht durch eigenen Erwerb, sondern durch Erben oder Schenkung gekommen ist. Dazu passt es nicht, dass die AfD von einer Vermögen- und Erbschaftsteuer absehen will.
Es sieht aber nicht so aus, als ob die von der AfD geplanten Steuererleichterung Menschen mit geringen Einkünften zugute kommen, sie dürften eher die ohnehin schon besser Gestellten und die Reichen begünstigen.
Die AfD begreift die soziale Frage nicht als als ein ungerechtes Verhältnis von „Oben und Unten“, Reichen und weniger Begüterten, von Mächtigen und Abhängigen, sondern als Missverhälnis von „Innen und Außen“ – die Immigranten sind an der Verarmung schuld! Das ist eine Verkennung der realen Verhältnisse!
Es ist auch immer die Frage, wie der Verlust an Steuereinnahmen durch Steuererleichterung ausgeglichen werden soll (das gilt übrigens auch für die Steuerversprechungen der CDU und FDP). Dies durch Kürzungen von Sozialleistungen zu erreichen, wird wohl manche, die AfD wählen, treffen und auch kaum ausreichen.
Zusammen mit der „Schuldenbremse“, die von der AfD (wie von der FDP) gefordert wird, ist nicht ersichtlich, wie die für Deutschland dringend notwendigen Investitionen in die Infrastruktur und sozialen Aufgaben aufgebracht werden sollen.
Europa:
„Die Idee der europäischen Einigung genießt bei der AfD keinen hohen Stellenwert. Im Wahlprogramm fordert die Partei den „Dexit“ – den Ausstieg Deutschlands aus der Europäischen Union. Über den Austritt soll in einer Volksabstimmung entschieden werden. Mindestens soll jedoch der Austritt aus der gemeinsamen Währung erfolgen und die D-Mark wiedereingeführt werden.“
Beurteilung:
Die blumige Rede vom „Europa der Vaterländer“ und die Forderung ihrer Überführung in ein „Wirtschafts- und Interessengemeinschaft souveräner, lose verbundener Einzelstaaten“ kann nicht verdecken, dass es der AfD um die Auflösung der bisherigen EU geht. Dies steht im Widerspruch dazu, dass die deutsche Wirtschaft im hohen Maße auf unbeschränkte Exporte und Importe in die und aus den europäischen Ländern angewiesen ist. Man male sich einmal aus, was die Auflösung der EU für Turbulenzen und Schwierigekeiten für die Wirtschaft mit sich bringen wird! Das Beispiel Englands mit dem EU-Austritt und dem „Brexit“ ist nicht verlockend! Im übrigen wäre es bei einem EU-Austritt dann auch mit dem ungehinderten Reisen, Arbeiten, Studieren, Wohnen und einheitlichem Bezahlen im EU-Ausland vorbei. Aber auch der Zuzug von qualifizierten Arbeitskräfte aus dem übrigen Europa wäre schwierig. Nicht zuletzt wäre für den Konsumenten die Wahl unter einer Vielfalt von preiswerten Produkten und für den Produzenten die Möglichkeit, seine Erzeugniss frei über Grenzen hinweg zu verkaufen, eingeschränkt.
Natürlich bringt die Teilhabe an einem Staatenverbund wie der EU durch den erforderlichen Ausgleich unter den teilnehmenden Staaten auch kollektive Einschränkungen und gemeinsame Regulierungen mit sich. Aber insgesamt hat die EU mehr Freiheiten und Stabilität für ihre Mitgliedsländer gebracht, als wenn diese isoliert geblieben wären – im ökonomischen, aber auch im individuellen Bereich. Die EU- Verträge sichern zivisatorische Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit, demokratische Standards und erschweren Abweichungen einzelner Länder in dieser Hinsicht.
Besonders für Deutschland hat die Integration in den europäischen Binnenmarkt und die europäische Politik deutliche Vorteile und Bedeutungszuwachs mit sich gebracht. Deutschland hat durch seinen Einfluss in der EU (die größte Abgeordnetenzahl, starke Vertretung in den Gremien) auch eine gute Möglichkeit für den Ausgleich von eigenen und den Interessen anderer Länder zu sorgen.
Was ein EU-Austritt sonst an Nachteilen bringen würde, deute ich nur mit Stichworten an: Isolierung Deutschlands, Abbruch kulturellen, informativen, sozialen Austausches, Austritt aus gemeinsamen, auch für Deutschland förderlichen Institutionen und Vorhaben (wie z.B. dem Europäischen Gerichtshof und der damit verbundene Wahrung von Rechten und Freiheiten). Der Verbleib in der Nato (den die AfD bejaht) wäre schwierig und das würde eventuell den Ausbau der eignen Verteidigung und erhöhte Kosten dafür erfordern. Nicht zu vergessen ist auch, dass Deutschland nicht nur an die EU zahlt, sondern auch Mittel erhält: z.B. Subventionen für die Landwirtschaft oder auch für schwächere deutsche Regionen (was nach dem Beitritt der DDR-Länder gerade auch für diese der Fall war).
Insgesamt würde bei einem Deutschland durch einen EU-Austritt geschwächt werden, Europa als wirtschaftliche und politische Macht sowieso. Wahrscheinlich würde die EU als eine der stärksten Wirtschafts-und Einflussmächte der Welt, wovon auch Deutschland profitiert, zusammenbrechen. Angesichts der derzeitigen Weltlage ist eine Stärkung der EU, nicht ihre Schwächung erforderlich. Somit erscheint ein EU-Austritt als wenig wünschenswert für Deutschland und wohl auch als unrealistisch.
Energie :
„Mit den Konsequenzen für Umwelt und Klima möchte sich die AfD im Rahmen ihrer Energiepolitik nicht befassen. Die Partei fordert eine Rückkehr zur Atomkraft und die Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen. Die Laufzeiten von Kohlekraftwerken sollen verlängert werden. Außerdem spricht sich die AfD gegen Windparks aus und fordert die Abschaffung der CO²-Abgabe.“
Beurteilung:
Es ist klar, dass hohe Energiepreise Wirtschaft und Privathaushalte belasten. Es ist aber nicht verantwortlich, sie ohne Rücksicht auf Folgen billig zu halten.
Dass eine Energiepolitik, wie sie die AfD plant, für Klima, Umwelt, Sicherheit und den angesichts der Klimabedrohungen notwendigen Wandel der Energiegewinnung schädlich ist, sollte nicht übersehen werden. Atomkraft mag billig und klimafreundlich sein, ist aber durch Unfälle, durch die Gefahr terroristischen oder kriegerischen Einwirkens ein großes Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung, zudem ist eine Endlagerung der radioaktiven Abfälle schwierig und die Frage in Deutschland ungelöst. Kohlekraftwerke vernichten durch den erforderlichen Kohleabbau Wohn- und Naturflächen und haben einen hohen Schadstoffausstoß. Die Rückkehr zu russischen Gaslieferungen ist aus politischen Gründen fragwürdig. Es ist aber auch zweifelhaft, ob eine Rückwendung zu diesen Enegiequellen die Energieversorgung der Wirtschaft und der Privathaushalte sicher und preiswert machen würde.
Windkraftparks in Naturflächen werden nicht von allen als schön angesehen und sie haben auch nachteilige ökologische Folgen. Deshalb sollte ihr Standort mit möglichst wenig Störungen für Natur und Menschen gewählt werden. Die Genehmigung von Windkraftanalagen ist aber auch mit vielen Hürden verbunden. Inzwischen sind Windräder die wichtigste Quelle der Elektrizität in Deutschland und machen ein Drittel der Stromerzeugung oder mehr aus. Sie abzureißen oder zurückzubauen, wäre kostspielig (Abbau-, Entschädigungskosten) und würde sofort den Strompreis für Wirtschaft und Privatverbraucher in die Höhe treiben. Eine bereits entstandene Industrie samt Arbeitsplätzen und Einnahmen würde vernichtet werden. Der Vorschlag von Weidel „alle Windkraftwerke niederzureißen“ ist also wirklich „populistisch“ und nicht sinnvoll.
Auch die Wiederinbetriebnahme bereits abgeschalteter und Neubau von Kern- und Kohlekraftwerken wäre zeit- und kostenaufwendig und würde den Strom auf absehbare Zeit nicht billiger machen.
Die Zukunft einer verantwortlichen Energiegewinnung liegt nicht in der Rückkehr oder der Beibehaltung von fossilen oder nuklearen Brennstoffen, sondern im weiteren Ausbau effizienter, klimaneutraler, „alternativer“ Energiequellen (Sonnenenergie, Wasser-, Windkraft, Geothermie, Umgebungswärme, Bioenergie, Meeresenergie, evtl. Wasserstoff). Derzeit ist Solarstrom aus Freiflächenanlagen die billigste Art Strom zu gewinnen. Der Ausbau der Energiegewinnung aus solchen Quellen würde Deutschland unabhängig von Ländern wie Russland oder den USA machen und den Wirtschaftstandort Deutschland stärken. Gegebenenfalls sind in der Übergangszeit staatliche Eingriffe in die Preisgestaltung der Energiekonzern und Subventionen für energieintensive Wirtschaftszweige und bedürftige Haushalte erforderlich.
„Remigration“
"Die AfD fordert Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Einreisenden an der Grenze. Das „Asylparadies Deutschland“ soll geschlossen werden. Dies beinhaltet für die AfD die Option, Geflüchtete an den Grenzen in Gewahrsam zu nehmen. Zudem spricht sich die AfD für eine Streichung des Anspruchs aufs Bürgergeld von Menschen aus der Ukraine aus.“
Beurteilung:
Kaum jemand wird bestreiten, dass eine unkontrollierte und unbegrenzte Zuwanderung für Deutschland eine untragbare Belastung darstellen würde, ebenso dass Einwanderung Probleme schafft. Es gibt aber ein im Grundgesetz, in den internationalen Menschenrechten und im Europarecht festgelegtes Asyl-, Schutz-, Aufnahme- und Bleiberecht. Die AfD spricht sich für eine „Anpassung“ solcher Rechte aus. Diese Anpassungen sind aber so restriktiv, dass in der Praxis diese Rechte ausgehebelt würden. Aus ihnen auszusteigen, ist inhuman, würde Deutschland isolieren und wäre auch nicht leicht zu verwirklichen. Dass die entsprechenden Regelungen streng und konsequent angewendet werden, ist durchaus vertretbar – und wahrscheinlich wurde dabei in der Vergangenheit oft zu großzügig oder nachlässig gehandelt. Ebenso müsste die Begleitung und Beratung von Asylsuchenden und Flüchtlingen intensiviert werden.
Die neue - umstrittene - EU-Asylreform will Kontrollen und Prüfung der Asylberechtigung an die Außengrenzen Europas verlagern und dabei die Freizügigkeit im Schengen-Raum erhalten. Die AfD will sich nicht mit den in dieser Reform vorliegenden Verschärfungen begnügen, sondern fordert eine "vollständige Schließung der EU-Außengrenzen", "Schutz- und Asylzentren" in "sicheren" Herkunftsländern der Flüchtlinge und die ausnahmslose Rückführung der an deutschen oder europäischen Grenzen Ankommenden dorthin. "Anträge auf Schutz sollen danach nur noch dort gestellt und entschieden werden."
Ob ständige und schärfere Grenzkontrollen an den europäischen und deutschen Grenzen, rigorose Zurückweisungen, Aufnahmelager und massive Abschiebungen wie die AfD - auch andere Parteien und zum Teil die EU-Asylreform - es sich vorstellen, die Probleme der Zuwanderung lösen, ist zweifelhaft.
Die "strengen" Kontrollen, die die AfD an den deutschen Grenzen fordert, richten sich gegen deutsche Interessen, europäische Regelungen und wären in der Praxis auch schwer realisierbar.
Deutschland und Europa haben und brauchen für Handel und Reisen offene Binnengrenzen, ständige Kontrollen verstoßen gegen die Schengener Übereinkunft. Eine lückenlose Überwachung der Binnengrenzen wäre gar nicht möglich. Auch die Kontrollen an den Außengrenzen können nur Teile der Grenzverläufe abdecken; zudem arbeiten die europäischen Länder in Fragen der Zuwanderung bisher nicht gut zusammen. Die Rückführung in Herkunftsländer oder -regionen ist meist schwierig, wenn nicht unmöglich, die Unterscheidung zwischen „sicheren“ und unsicheren Ländern umstritten. Asylsuchende und Flüchtlinge in Gewahrsam zu nehmen, sie in Auffanglager zu überführen und zu sperren, verstößt gegen Menschenrechte.
Die Idee von „Aufnahmeeinrichtungen“ oder „Schutz-und Asylzentren“ ist ohnehin belastet (Konzentrationslager unter dem Nationalsozialismus und Flüchtlingslager im Vichy-Frankreich). Sollten sie – wie von der AfD gefordert - außerhalb Europas (z. B. in „Nordafrika“) eingerichtet werden – was nicht so einfach ist – wären menschenwürdige Lebensbedingungen kaum zu erwarten oder nur schwer zu kontrollieren.
Auch die Unterscheidung zwischen „echten Flüchtlingen“ und „irregulären Migranten“ ist fragwürdig. Niemand verlässt seine Heimat freiwillig und ohne Not.
Nur noch Sachleistungen an Asylbewerber zu leisten, ist ein Vorhaben, das ein „Schuss nach hinten“ sein könnte. Es würde zwar die Attraktivität des Aufnahmelandes Deutschland vermindern, könnte aber dazu führen, dass vermehrt Gelderwerb durch illegale oder kriminelle Tätigkeiten gesucht wird, denn ganz ohne Geld kann niemand menschenwürdig leben.
Die AfD lehnt die [angeblich] "schrankenlosen Möglichkeiten des Familiennachzugs für anerkannte Asylbewerber" ab. Dies widerspricht dem sonstigen Eintreten der Partei für den Schutz von Ehe und Familie, der offenbar für aus Drittstaaten geflüchtete Menschen, die in Deutschland ein Aufenthaltsrecht bekommen haben, nicht gelten soll. Eine solche Verweigerung verstößt gegen das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 1 GG) und erschwert die Integration der Zugewanderten.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Europa und Deutschland durch frühere Kolonialisierung heutige Ausbeutung, Umweltzerstörungen, Klimaschädigungen, Unterstützung von Diktatoren, Waffenlieferungen am Elend und den Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge beteiligt sind. Damit tragen wir eine Mitverantwortung für das Geschehen in diesen Ländern und die dadurch ausgelösten Migrationsbewegungen. Der Migrationsdruck wird nicht dadurch verringert, dass die reichen Länder sich verbarrikadieren, sondern indem sie dazu beitragen, dass die Fluchtursachen in den Abwanderungsländern bekämpft werden. Die AfD plädiert zwar auch dafür, aber Entwicklungshilfe einzuschränken und das „Lieferkettengesetzes“ abzuschaffen, wie die Partei es vorhat, sind keine Wege zur Verhinderung von Fluchtursachen.
Ein Klima der Fremdenfeindlichkeit, wie es durch radikale „Remigarations“-Forderungen erzeugt wird, verunsichert auch diejenigen Zuwanderer, die in die Gesellschaft und in Arbeitsprozesse integriert sind. Immerhin machen „Personen mit Einwanderungsgeschichte“ mehr als ein Viertel der Erwerbstätigen aus. Man muss auch sehen, dass Deutschland zumindest aus wirtschaftlichen Gründen weiterhin Zuwanderer braucht. Das schließt nicht aus, einheimische Arbeitskräfte heranzubilden oder zu aktivieren, wie es das AfD-Grundsatzprogramm fordert. Eine dieser „stillen Reserven“ sind Frauen, die gerne (mehr) arbeiten würden und könnten, dazu aber wegen ihrer Familientätigkeiten nicht in der Lage sind, weil ihnen keine Ablösungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Aber die AfD will das ja nicht.
Das derzeitige und in Europa außergewöhnliche Wirtschaftswachstum Spaniens hängt auch damit zusammen, dass dieses Land auf ein „Reservoir“ an Zuwanderern zurückgreifen kann und damit den Bedarf an Arbeitskräften deckt – um einmal nur im wirtschaftlichen Jargon zu reden.
Frauen und Familie
Die AfD möchte das traditionelle Ehe-, Familien, -Frauen- und Erziehungsverständnis als gesellschaftliches „Leitbild“ wieder aufrichten und fördern. Der „demographischen Fehlentwicklung“ setzt sie eine „aktivierende Familienpolitik mit einer höheren Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung“ entgegen.
„Wichtiges Anliegen ist die Erhöhung der Geburtenrate. Zu diesem Vorhaben beitragen soll auch ein striktes Abtreibungsrecht. Schwangerschaftsabbrüche sollen nach dem Willen der AfD nur noch im Falle von Vergewaltigungen oder medizinischer Notwendigkeit möglich sein.“
Beurteilung
Ob man von einer „Diskriminierung der Vollzeit-Mütter“, die „gestoppt“ werden müsse, reden kann, erscheint fraglich.
Die meisten Frauen klagen eher über Benachteiligungen im beruflichen Bereich oder über die Schwierigkeiten der Doppelrolle als Familienmutter und Berufstätige, ohne dass sie ihre Berufstätigkeit aufgeben wollen. Die wenigsten Frauen wollen sich heutzutage mit der Rolle einer auf Haushalt und Kinder beschränkten Familienfrau begnügen. Statt Förderung einer möglichen Rückkehr zur „Vollzeit-Mutter“ wünschen sie Erleichterungen bei der Bewältigung ihrer Doppelrolle, z.B. qualifizierte Kindertagesbetreuung. Nicht der Rückzug der Frauen ins Heim, sondern „ein bedarfsorientiertes Angebot an Betreuungsmöglichkeiten unterstützt Paare bei dem Entschluss, Kinder zu bekommen“ (bpb Sozialbericht 2024).
Frauen Berufstätigkeit zu ermöglichen entspricht dem Grundrecht der „Gleichberechtigung“ von Frauen und Männern (Art. 3, Grundgesetz). Berufstätigkeit ist nicht nicht nur Gelderwerb und Unterhaltsquelle, sondern bietet auch die Möglichkkeit zu gesellschaftlicher Teilhabe, Selbstbestätung und Selbstentfaltung. Man kann fragen, ob das Rollenbild, das die AfD Frauen zuweisen will, grundgesetzkonform ist.
Alleinige Familienbetreuung- und -erziehung ist nicht immer nur vorteilhaft für Kinder. Man sollte sehen, dass insbesondere Kinder aus sozio-ökonomisch schlechter gestellten Familien vom Besuch einer Kita mit guter Bildungs- und Betreuungsqualität profitieren.
Viele Männer wollen sich nicht nur als „Ernährer der Familie“ sehen, sondern wünschen sich, Erziehungs- und Haushaltsaufgaben mit ihren Partnerinnen in stärkerem Maß zu teilen. Aber dem guten Willen stehen viele Hemmnisse entgegen, z. B. unflexible Arbeitszeitregelungen. Auch hier wären mehr Anreize und Möglichkeiten für Männer, die sich in die Familienarbeit einzubringen wollen, angebracht.
Die gesellschaftliche Entwicklung ist über das von der AfD propagierte Leitbild hinausgegangen und die Politik hat darauf reagiert. Dies wird meist als Befreiung und Fortschritt empfunden, nicht als Verlust. Das schließt nicht aus, dass eine - zumindest zeitweilige - Wahlfreiheit zwischen Familien- oder Berufstätigkeit sowohl für Frauen als auch Männer geben sollte, was in Deutschland ja auch ansatzweise besteht. Dass die AfD dies anerkennt, kann nicht verdecken, dass sie die traditionellen Rollenverständnisse wiederbeleben und sozialpolitisch-finanziell begünstigen möchte.
Die Einwendungen der AfD gegen das derzeitige Abtreibungsrecht laufen letztlich auf ein Abtreibungsverbot mit strikten Ausnahmeregelungen hinaus. Auch dies werden die meisten Frauen in Deutschland wohl kaum begrüßen und als Eingriff in erkämpfte Rechte betrachten.
Kultur und Medien
„Die AfD möchte die „deutsche Leitkultur“ stärken. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll reformiert und „GEZ-Zwangsgebühren“ abgeschafft werden.“
„Deutsche Leitkultur“ ist ein restauratives Konstrukt. Zudem erinnert es fatal an im Nationalsozialismus repressiv durchgesetzte Einengungen und die Ausmerzung angeblich „artfremder“ Kultur. Kultur ist nicht statisch, sie entwickelt und verändert sich. Die Literatur, Philosophie, Malerei, Bildende Kunst, Architektur, das Filmschaffen, Musik, die kulturelle Prägung der Menschen in Deutschland hat sich immer Einflüssen aus anderen europäischen und außereuropäischen Ländern und Kulturen geöffnet.
Dass wir in einer multikulturellen, mit der ganzen Welt vernetzten Gesellschaft leben, lässt sich nicht zurückentwickeln. Die Einflüsse anderer Kulturen müssen nicht als „bedrohlich“, sondern konnen als bereichernd erlebt werden. Wenn ich Yoga, Tai-Chi-Chuan, Zen-Meditation praktiziere und aus den USA stammenden Jazz höre oder surrealistische Bilder des Spaniers Dali bewundere, gebe ich weder meine deutsche noch christlich geprägte Identität auf noch meine Teilhabe an deutschen Kulturtraditionen. Ich kann auch nicht sehen, dass diese Traditionen in Bildungseinrichtungen, Kulturbetrieb und Medien verschwinden.
Die durch das Parteiprogramm durchschimmernde generelle Islamfeindlichkeit der AfD beruht auf eingeengter Wahrnehmung dieser Religion. Der Islam und die islamische Tradition sind vielfältig und bestehen nicht nur aus islamistischen Strömungen. Zeitweilig (im frümittelalterlichen Spanien) konnten Islam, islamische Kunst, Literatur, Philosophie und das Christentum miteinander koexistieren und haben sich gegenseitig befruchtet. Die Philosophie und Wissenschaft des christlichen Mittelalters ist ohne den Einfluss der islamischen und jüdischen Philosphen nicht denkbar. (Näheres darüber in meinem Roman „La Arqueta“). Auch später gab es immer wieder gegenseitige Beeinflussungen von Orient und Okzident (man denke nur an Goethe!). Die Aussage des AfD-Parteiprogramms „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ ist realitätsfremd, intolerant und diskriminierend für Muslime, die unter uns leben, auch für diejenigen, die ihrer Religion ohne Extremismus nachgehen.
Einige der Einschränkungen der Religionsausübung, die die AfD fordert, widersprechen dem Grundgesetz, z. B. islamischen Gemeinden und Gemeindezusammenschlüssen grundsätzlch die Anerkennung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verweigern, wie dies christlich-kirchlichen Gemeinden zusteht (GG Art. 140). Da nützt auch das verbale Bekenntnis zur „uneingeschränkten Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit“ (Grundgesetz, Art. 4) nichts (auffälligerweise fehlt der Bezug auf die „ungestörte Religionsausübung“).
Es ist möglich, die zentralen Element des islamischen Glaubens zu praktizieren und dabei deutsche Gesetze und Gewohnheiten zu respektieren. Umgekehrt kann es Deutschen zugemutet werden, die Anwesenheit einer Religion zu tolerieren, die zu den großen drei „abrahamitischen“ Ein-Gott-Religionen gehört, die Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten aufweisen. (Das sage ich als christlicher Theologe und Religionswissenschaftler.) Dass Muslime, die die Rechtsordnung Deutschlands nicht anerkennen und die hier üblichen Lebensstile nicht respektieren, in Deutschland fehl am Platze sind, ist selbstverständlich – auch für die Mehrheit der Muslime, die (oft schon sehr lange) in Deutschland leben.
Letzten Endes vertritt die AfD ein geschlossenenes Bild von Gesellschaft und Kultur, das in modernen Gesellschaften nicht mehr oder nur mit autoritären Massnahmen herstellbar ist.
Die AfD möchte die öffentlich-rechtlichen Sender „reformieren“, die „Zwangsfinanzierung“ abschaffen und in ein freiwilliges „Bezahlfernsehen“ in der Art der „Streamingdienste“ umwandeln.
„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird so zu einem Bürgerrundfunk, welcher ausschließlich von seinen zahlenden Zuschauern und nicht mehr von der Politik abhängig ist.“
Praktisch würden damit die öffentlich-rechtlichen Sender zu „Prvatsendern“ werden. Ob damit journalistische Sorgfalt, Freiheit der Berichterstattung, Meinungsvielfalt, die Qualität der Sendungen und die Zahl anspruchsvoller Sendungen ansteigen, bezweifle ich. Es ist zu erwarten, dass sich ein solches Sendermodell noch mehr an Einschaltquoten, noch mehr am Publikumsgeschmack orientiert, noch mehr Werbung aufnimmt und schließlich in die Hände von Einflussgruppen und privaten Financiers gerät, die ihre Interessen und Sichweisen im Programm geltend machen. An Stelle der von der AfD unterstellten Abhängigkeit von der Politik und den Parteien würde die Abhängigkeit von Interessengruppen und Medienoligarchen treten, wie man das in den USA beobachten kann. Übrigens: Mit dieser „Reform“ kann man sich auch unliebsame Kritiker vom Halse schaffen!
Außenpolitik
„Die AfD verfolgt in der Außenpolitik einen russlandfreundlichen Kurs. Wirtschaftssanktionen gegen Russland möchte sie aufheben. Auf eine Verurteilung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verzichtet die AfD. Die Ukraine soll nach ihrem Willen ein neutraler Staat außerhalb von NATO und EU werden.“
Beurteilung
Die AfD gibt sich als „Friedenspartei.“ Baldiger Frieden in der Ukraine ist wünschenwert, aber nicht unter dem Diktat Putins. Auch neue und (notgedrungen) realistische Beziehungen zu Russland wären wünschenswert und sollten langfristig angestrebt werden. Dies ist aber angesichts der Völkerrechtsbrüche und Menschenrechtsverletzungen der Putin-Regierung und ihres offensichtliches Vorhabens, ein neues Großrussland zu errichten (mit dem Anspruch auf frühere Gebiete der Sowjetunion und des Zarenreiches), für Europa schwierig. Es soll nicht bestritten werden, dass auch der Westen zu der Zerüttung des Verhältnisses zu Russland und zur Genese des Ukraine-Konflikts beigetragen hat. Aber der Angriff auf die Ukarine ist völkerrechtswidrig und die Kriegführung Russlands verletzt alle Regeln des internationalen Kriegsrechts.
Putin verfolgt seine Ziele, auch mit Deutschland, unter anderem das, Unsicherheit zu schaffen. Es ist naiv zu glauben, er sei ein verlässlicher Partner oder er würde im Ernst nationale Interessen anderer Länder berücksichtigen. Deutschland sollte sich nicht wieder in der Energieversorgung abhängig von Russland machen. Ehe nicht der Ukraine-Krieg beendet, das Verhältnis zu Russland geklärt und eine bindende Friedensordnung zwischen Europa und der Russischen Föderation hergestellt ist, bergen Handelsbeziehungen zwischen beiden Zusammenschlüssen große Risiken.
Demokratie, Grundgesetz
Die AfD hat in Teilen ein anderes Verständnis von Demokratie als es das Grundgesetz vorsieht. Die Verfasser des Grundgesetzues haben nach den Erfahrungen des Nazi-Regimes keine direkte, sondern eine parlamentarisch-repräsentative Demokratie installiert. Nach Ansicht der AfD hat das dazu geführt, dass nicht das Volk der „Souverän“ ist, sondern „eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien“. Die AfD bejaht zwar die prinzipielle Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative, möchte aber die Legislative nicht allein dem Parlament überlassen, sondern grundlegende Gestzesvorhaben in die Hände des „Volkes“ legen. „Die AfD setzt sich dafür ein, Volksentscheide in Anlehnung an das Schweizer Vorbild auch in Deutschland einzuführen.“ Auch der Bundespräsident soll direkt gewählt werden.
Beurteilung
Die Analyse der AfD, die Bundesrepublik werde von einem eigennützigen kleinen „politischem Kartell“ regiert, das alle Macht in den Händen hält, grenzt an eine „Verschwörungstheorie“. Die Wirklichkeit ist komplexer. Auch die Rede von einem „illegitimen Zustand“ hält einer Prüfung nicht stand.
Der „Souverän“ hat durchaus die Möglichkeit Parlamentarier und Regierungen auf ihre Programme hin zu prüfen, zu wählen und gegebenenfalls abzuwählen. Es existiert auch ein öffentlicher Diskurs, der Einfluss auf Parlament und Regierung hat. Dazu gibt es vielfältige institutionelle und nicht institutionellle Formen der Partizipation der Bürger am Parlaments- und Regierungsgeschehen (Parteienmitgliedschaft, Gewerkschaften, Interessenverbände, Kirchen, Vereine, Bürgerinitiativen, Kontakte mit Abgeordneten, Petitionen, Unterschriftenaktionen, Demonstrationen u.a).
Ein Teil der Kritiken der AfD am derzeitigen parlamentarischen System und eine Reihe von Vorschlägen zu seiner Reform sind durchaus berechtigt und wünschenwert. Formen einer stärkeren und direkten Partizipation von Bürgern an der parlamentarischen Arbeit wären vorstellbar, sinnvoll und werden auch von Bürgern gewünscht.
Aber die Einführung von Volksentscheidungen mit so weitreichenden Rechten, wie die AfD es sich vorstellt, würde eine grundlegende Änderung des politischen Systems in Deutschland bedeuten und ist sehr problematisch. Deutschland ist nicht die Schweiz mit ihrer Jahrhunderte alten demokratischen Tradition. In Deutschland wurden demokratische Ansätze immer wieder von autoritären Regierungen und der Diktatur beendet. !933 - bei der letzten Wahl in der Weimarer Republik - haben 43% (in Nord- und Ostdeutschland über 50%) der wahlberechtigten Deutschen Hitler und die Nationalsozialisten gewählt. Dies, obwohl klar war, dass Hitler und seine Gefolgschaft dabei waren, eine Terror-Diktatur zu errichten. 1934 wurde Hitler mit 89,93 % der Stimmen als Führer, Reichskanzler und Reichspräsident in einer Volksabstimmung bestätigt, allerdings nicht unter freien Bedingungen. Ein großer Teil der Deutschen war stets anfällig für autoritäre und diktatorische Regierungformen - und in der Gegenwart gibt es diese Tendenzen unübersehbar wieder.
Nach dem Willen der AfD muss das Volk das Recht haben, „initiativ über Änderungen der Verfassung selbst zu beschließen.“ Wunderbar! Dann kann das Volk auch beschliessen, die Demokratie und schließlich die Volksabstimmungen abzuschaffen! Eine Mehrheit muss nur in der entsprechenden Stimmung sein oder die richtige Partei mit einem charismatische „Führer“ da sein, die das dem Volk nahelegen. Manipulationsinstrumente dafür sind reichlich vorhanden.
Volksabstimmungen sind in Deutschland schon dadurch historisch belastet, weil die Hitler-Regierung sie als Instrument zur Bestätigung ihrer Herrschaft einsetzte und propagierte. Sie benutzte dabei die in der Weimarer Verfassung (Art. 73) vorgesehene Möglichkeit des "Volksentscheids", den der Reichspräsident anordnen konnte. Dieser Mißbrauch für undemokratische Zwecke ist wohl auch einer der Gründe, warum die "Väter" und "Mütter" des Grundgesetzes sich für eine parlamentarisch-repräsentative Regierungsform entschieden, ohne direkte Wahl des Bundespräsidenten, und ein unmittelbares "Volksbegehren" oder ebensolchen "Volksentscheid" nur für den Fall einer Neugliederung von Bundesländern vorsahen (GG, Art. 29). [Es gibt allerdings in Bundesländern und Gemeinden in vielen Fragen die Möglichkeit der direkten Mitbestimmung ("Bürgerentscheid")].
Abschließend: Ich verstehe es, wenn bürgerliche Kreise sich von den moderaten Teilen und auch sinnvollen Vorschlägen des AfD-Programms angesprochen fühlen. Aber die AfD ist keine „Partei der Mitte“. Teile der Partei vertreten nachgewiesenermaßen rechtsextreme und nationalsozialistische Positionen. Die AfG hat sich immer mehr radikalisiert und es ist wahrscheinlich, dass sich dies fortsetzt.
Ich
habe als Kind noch erlebt, in welche Schrecken und Katastrophen das Nazi-Regime Deutschland,
deutsche Staatsbürger und andere Länder geführt hat und kann nur sagen:“Nie
wieder!“ Jüngere Menschen haben das nicht am eigenen Leib erfahren und neigen
vielleicht dazu, das alles als nicht so schlimm anzusehen, wenn sie überhaupt darüber Bescheid wissen. So kann es geschehen, dass wir wieder in
solche Verhältnisse hineinschlittern. Innerhalb der AfD wird der Nationalsozialismus immer wieder verharmlost.
Man sollte auch nicht übersehen, welche Gruppen sich an die AfD anhängen, die sich bestärkt fühlen, wenn diese Partei an die Regierung käme. Sie werden dann nicht zögern, sich gegen ihnen Unliebsame aller Art zu wenden. Aus solchen Kreisen heißt es (O-Ton): „Wenn die AfD in 2025 an die Macht kommt, nehmt eure Familien und lauft.“ Und das ist noch „harmlos“ ausgedrückt. Ich kenne aus meiner Verwandtschaft andere, massivere Drohungen und auch aktive Gewalttätigkeiten von Rechtsextremen. Das müsste bürgerlichen Sympathisanten der AfD zu denken geben. Wollen sie (wieder) solche Verhältnisse?
Haben die Deutschen Grund unzufrieden zu sein?
Anfangs sprach ich von einer verbreiteten Unzufriedenheit unter den Deutschen. Man sollte sich aber prüfen, ob das im eigenen Fall und im Allgemeinen berechtigt ist.( Anm.1)
Statistisch gesehen steht der durchschnittliche Deutsche im europäischen Vergleich in Hinsicht auf Einkommen, Vermögen, Beschäftigung, Lebenshaltungskosten, Konsummöglichkeiten und soziale Absicherung nicht schlecht da. Die Menschen im „Osten“ haben weniger zur Verfügung, als die im „Westen“, aber vergleichweise sind sie auch nicht schlecht gestellt. Hierzu einige Zahlen:
- Die Inflationsrate beträgt 5,9 % (2023) und ist sinkend.
- Das jährliche Durchschnitts-Nettohaushaltseinkommen beträgt 45.217 Euro in Westdeutschland und in Mittel-/Ostdeutschland 38.238 Euro (2023). (Was den Osten betrifft, muss man u.a. bedenken, dass die Lebenshaltungskosten niedriger als im Westen sind.)
- Das Vermögen je Haushalt lag 2021 bei 316.500 Euro.
- Die Armutsgefährdung beträgt 16 %, [bei unter 15.765 Euro Einkommen bzw. unter 60 % des (verfügbaren) mittleren Einkommens]. Armut betrifft vor allem: Geringbeschäftigte, Alleinlebende. Arbeitslose, Alleinerziehende, Ältere (mit geringen Renten), junge Erwachsene, Menschen mit Migrationshintergrund). 8,5 % der in Deutschland lebenden Menschen sind auf existenzsichernde finanzielle Hilfen des Staates angewiesen.
Der Blick auf diese Zahlen zeigt, dass es immer noch zu viel Armut in Deutschland gibt. Auch die "Verteilungsgerechtigkeit" lässt zu wünschen übrig. Aber der größte Teil der Bevölkerung ist zufriedenstellend situiert. Ich erlebe in Deutschland oft Klagen "auf hohem Niveau" und finde das nicht angemessen.
Ich lebe in Spanien
und der „Normalbürger“ hier würde sich freuen, wenn er so gut gestellt wäre,
wie der Normalbürger in Deutschland. Die mittleren (Netto-)Einkünfte
eines spanischen Haushalts betrugen 2022 32.470 Euro und das Netto-Vermögen
142.700 Euro. Pro Einzelperson betrugen die mittleren (verfügbaren) Einkünfte
14.080 Euro. Nicht schlecht im europäischen
Vergleich, aber auch nicht so gut wie in Deutschland. Die Armutsgefährdungsquote
in Spanien ist weit höher als in Deutschland, nämlich 26,5 (2023) – das
betrifft vor allem Alleinerziehende, Arbeitslose und Geringverdiener. Die „Sozialschutzquote“
ist geringer als in Deutschland. Und trotzdem erleben ich die Menschen hier (Katalonien) zufriedener und besser arrangiert mit ihren Verhältnissen als in
Deutschland. Dies bestätigt auch eine neue Umfrage für ganz Spanien, die im übrigen auch die positive Einstellung der Spanier zu Demokratie und ihren Respekt vor anderen Meinungen zeigt. 82% der Spanier halten die Demokratie grundsätzlich für die beste Regierungsform, in Deutschland bejahen dies 66%. (Genaueres zu Deutschland hier.)
Die Unzufriedenheit mit der Ampelregierung hat ihre Gründe. Diese Regierung hat nur einen Teil ihrer Pläne verwirklicht – ca. ein Drittel - und manches ist umstritten. Was die Kritiker aber oft vergessen, ist, dass sie viele „Hypotheken“ aus der Merkel-Regierung übernehmen musste, dass sie mit den Folgen der Corona-Pandemie, u. a. mit einer Wirtschaftskrise, konfrontiert war, dass schließlich der Ukraine-Krieg mit einschneidenden Folgen für Deutschland ausbrach (was u. a. eine Energiekrise, Inflation, hohe Unterstützungskosten für die Ukraine und erhöhte Militärausgaben verursachte) und nicht zuletzt war die Koalition aus Parteien mit sehr verschiedenem Profil zusammengesetzt. Vor allem die FDP betätigte sich bei vielen Vorhaben als Bremser. Und schließlich ist die Koalition, ehe sie ihre begonnenen Vorhaben zu Ende führen konnte, auf Grund der Dissonanzen, wohl vor allem mit der FDP, vor dem Ende der Legislaturperiode zusammengebrochen. Das alles sind wahrhaftig keine guten Grundlagen für eine erfolgreiche Regierungspolitik gewesen.
Trotzdem sind wurde vieles bewältigt (u.a. im Sozialbereich) oder so begonnen, dass es weitergeführt werden könnte, und die meisten Bürger Deutschlands sind ganz gut durch die Krisen gekommen. Dem viel kritisierten Bundeskanzler ist es durch seine vorsichtige Politik gelungen, dass wir nicht in eine direkte kriegerische Auseinandersetzung mit Russland hineingezogen wurden.
Ich halte die „Bilanz“ der Ampelregierung“ nicht für so schlecht, dass die hohe Unzufriedenheit mit ihr und die oft undifferenzierte Kritik an ihr berechtigt wäre.
(1) Durch Social und andere Medien, Demonstrationen, die Agitation bestimmter Gruppen, nicht zuletzt der AfD und in Gesprächen erhält man den Eindruck, dass die allgemeine Unzufriedenheit in Deutschland hoch ist. Der Blick auf den "BiB. Monitor Wohlbefinden 2024" zeigt ein differenzierteres Bild. Unzufriedenheit findet sich vor allem bei benachteiligten Bevölkerungsgruppen und vermehrt bei Menschen in bestimmten Regionen, u.a. in Mittel/Ostdeutschland.
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